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Dienende Leiterschaft wieder entdecken

Howard Young

Wie soll ein verantwortungsbewusster Leiter leiten? Moderne christliche Leiter sind mit einer verwirrenden Auswahl von Leiterschaftsmethoden und Prinzipien konfrontiert. Einige dieser Methoden erscheinen allein durch ihren Erfolg in einem bestimmten Leiterschaftsumfeld attraktiv. Möglicherweise folgern daher einige Leiter, dass ein gewisser Leiterschaftsansatz gut ist, weil er anscheinend funktioniert. Pragmatismus trägt den Sieg davon.

Die meisten christlichen Leiter kennen die Prinzipien, Werte und Methoden, die auf dem betriebsamen Markt diverser Leiterschaftsmethoden und Theorien akzeptabel sind. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass das Wort Gottes uns ein Leiterschaftsmodell zeigt, welches den Kerngedanken über Leiterschaft im Leib Christi widerspiegelt. Diese biblische Art der Leiterschaft findet ihren einzigartigen Ausdruck in der dienenden Haltung des Leiters — seinem Wunsch, das Leben der Menschen, die er durch selbstloses Dienen leitet, zu bereichern und zu entwickeln. Dieses allumfassende Modell biblischer Leiterschaft findet Ausdruck durch echte Demut, mit der man Menschen dient und sie anleitet, ebenfalls Diener zu werden.

Während der letzten dreissig Jahre wurde dieser dienende Leiterschaftsstil als «Servant Leadership» bekannt. Der Ausdruck Servant Leader wurde im Jahr 1970 von Robert K. Greenleaf kreiert und bekannt gemacht. Weitere von Greenleaf inspirierte Autoren haben eine beachtliche Anzahl von Büchern geschrieben, in denen Servant Leadership als Mittel zur Erneuerung von Institutionen und zur Schaffung einer sozialeren und barmherzigeren Gesellschaft begrüsst wird.

Servant Leadership hat als Leiterschaftsmodell viele Grenzen überschritten und wird in Universitäten, in der Gesundheitspfleege und vielen Organisationen eingesetzt. Servant Leadership eines christlichen Leiters ist gekennzeichnet durch echtes Dienen mit der Priorität, die Menschen, denen man dient, zu fördern und zu inspirieren. Der Test dienender christlicher Leiterschaft ist die Zunahme an geistlicher Gesundheit, Freiheit und Selbständigkeit der Menschen, denen man dient. Dienende Leiterschaft konzentriert sich auf die Bedürfnisse und das Wachstum der von ihr Geleiteten statt auf die Bedürfnisse der Leitenden.

Auf Macht und Kontrolle basierende Leiterschaftsmodelle sind weiterhin ein Problem in der Gemeinde. Machtorientierte Leiterschaft, die Drohgebärden, Protektionismus, Zynismus und Feindseligkeit einsetzt, führt zu Vertrauensverlust und dadurch zu minimaler Wirksamkeit von Leiterschaft. Weise Gemeindeleiter orientieren sich hingegen an der Lehre von Jesus und den Verfassern des Neuen Testaments, die dem Dienst des Gemeindeleiters eine erfrischende Perspektive verleihen.

BIBLISCHE GRUNDLAGEN FÜR DIENENDE LEITERSCHAFT

Das Konzept dienender Leiterschaft entspringt der biblischen Lehre über den Einzelnen als Diener Gottes. Das Konzept des Dieners hat seine Wurzeln im Alten Testament. Das hebräische Wort eved bedeutete ursprünglich «Sklave», erhielt jedoch bald die Bedeutung «vertrauenswürdiger Diener». Dieser Ausdruck wurde häufig in Bezug auf jemanden, der einem Herrscher oder Gott diente, angewendet. Könige und Propheten wurden oftmals als Knecht Gottes bezeichnet (2. Sam. 3, 18; Jes. 20, 3; Hes. 34, 23, 24).

Jesaja lässt ein eindrückliches Bild von einem Knecht entstehen, der durch seinen Dienst für Gott Menschen dient (42, 1–4; 49, 1–6; 50, 4–9; 52 –53,12). Jesajas Diener haben drei Ebenen der Identikation: die Nation Israel, die Gott dient; der treue Überrest, der Gott in schwierigen Zeiten dient; und der Messias als der leidende Knecht, (1) Diese Beispiele aus Jesaja bestätigen, dass der biblische Knecht eine Haltung des hingegebenen und intensiven Dienens für Gott zum Ausdruck bringt. Biblische Diener hatten ein verzehrendes Verlangen, ihren Dienst für Gott zu untermauern, indem sie Menschen das Bundesverhältnis mit Gott vermittelten und sie in den Willen Gottes führten (Jes. 52, 7–11). (2) Der biblische Diener verankerte sich zuerst im Dienst an Gott und stand dann bereit, Menschen zu dienen und sie zu leiten, wenn er von Gott dazu berufen wurde. (3)

JESUS ALS DIENER

Jesaja 61, 1–2 greift ebenfalls das Thema des Dienens auf. Jesus las diesen Text in der Synagoge in Nazareth, um Seinen Dienst zu eröffnen. Obschon in Lukas 4, 18–19 «Diener» oder «Knecht» nicht erwähnt werden, enthalten diese Verse wichtige Konzepte, die sie mit den anderen Schriftstellen über dienende Leiterschaft verbinden.

Der Dienst Jesu an verzweifelten und zerbrochenen Menschen und auch Sein eigenes Leiden verbinden Ihn fest mit dem Knecht in Jesaja. Die Juden der neutestamentlichen Zeit bezogen zwar Jesajas Prophetie über den dienenden Knecht auf den Messias, nicht aber die des leidenden Knechtes. Jesus schuf ein ganz neues Konzept des geistlichen Dienstes und geistlicher Leiterschaft, indem Er sich klar mit dem wiederherstellenden Dienst des leidenden Knechts identizierte, der grosse Opfer und einen schmachvollen Tod auf sich nimmt, um zu dienen (Jes. 53, 1–9).

Jesus machte deutlich, dass Seine Haltung des dienenden Leitens ebenfalls für die Gemeinde, die Er bauen würde, gilt. Nach einem Streit unter den Jüngern über Rang im Reich Gottes stellte Jesus die gängigen Meinungen und Maßstäbe in Bezug auf Leiterschaft durch eine revolutionäre Lehre auf den Kopf. Nach ihrer Ankunft in Kapernaum fragte Er sie: «Was habt ihr unterwegs besprochen?» Dann rief Er die Zwölf zu sich und machte ihnen nachdrücklich klar: «Wenn jemand der Erste sein will, soll er der Letzte von allen und aller Diener sein» (Mk. 9, 33–35).

Für die Jünger war der Ausdruck Diener(diakonos), den Jesus gebrauchte, gut verständlich.

Sie wussten, dass dieses Wort den Dienst an anderen Menschen ausdrückte. Der Ausdruck beinhaltete ebenfalls die Vorstellung tiefer Ergebenheit. Die von den damaligen Normen geprägten Jünger waren daher gewiss verdutzt über diese ungewöhnliche Lektion des Erklimmens der Erfolgsleiter im Reich Gottes. Ihrer Erfahrung gemäß diente man Leitern, und nun hatte Jesus dies wortwörtlich auf den Kopf gestellt. Echte Leiter konzentrieren ihren Dienst auf die Bedürfnisse und das persönliche Wachstum der Menschen, die sie leiten. Nach und nach erkannten die Jünger, dass Leiterschaft im Reich Gottes nichts mit dem Erklimmen einer Leiter zu tun hat, sondern vielmehr bedeutet, auf unterster Stufe zu dienen.

Die Sicht Jesu über Leiter als Diener erstreckt sich über zwei Jahrtausende und ist für die Gemeinde des 21. Jahrhundert immer noch gültig. Das Konzept Jesu über dienende Leiterschaft widersetzt sich den modernen Konzepten der Macht, Autorität und Kontrolle als höchster Ausdruck wirksamer Leiterschaft. Sein Konzept des Leiters als Diener offenbart ein von tiefer Demut geprägtes Leiterschaftsmuster, das persönliche Ziele in den Hintergrund stellt und das Wohl anderer Menschen als wichtiger erachtet.

Das Neue Testament zeigt klar, dass die Jünger schließlich in Bezug auf Jesu Lehre über dienende Leiterschaft Feuer fingen. Die Apostelgeschichte offenbart eine liebevolle Gemeinde, in der Leiter und Gemeindeglieder gegenseitiges und aktives Dienen praktizierten (Apg. 2, 42–47; 4, 32–37). Die Leiterschaft der Urgemeinde folgte Jesu Vorbild. Tiefe Demut, aufopfernder Dienst am Nächsten und Gewilltheit, Leiden zu ertragen, kennzeichnete diese Leiter, die Jesus in Seiner Selbsterniedrigung und dienenden Haltung nacheiferten (Phil. 2, 4–16; 1. Pet. 2, 21–25). Die Herzenshaltung und das Verhalten dieser neutestamentlichen Leiter ermöglichte es ihnen, durch Vorbild und Prinzip zu leiten (1. Pet. 5, 1–4). Die dienenden Leiter erkannten die Wichtigkeit, Gläubige auszubilden, die der Gemeinde durch ihre Gaben dienen konnten (Eph. 4, 11–13; 1 Pet. 4, 8–11).

Lebensstil dienender Leiter

Der dienende Leiter dient zuerst. Das bedeutet, dass dienendes Leiten die praktische Ebene betont. Lehre und Leiten durch Regeln reicht niemals aus. Dienende Leiter sind verfügbar und gewillt, kurzfristig Einsatz zu leisten. Dienende Leiterschaft ist eine praktische und angewendete Kunst, die ihren kreativen Ausdruck in den verschiedenen Lebenssituationen anderer Menschen findet. Folglich schafft und implementiert dienende Leiterschaft Dienste, die aktiv tiefe und bedeutende Bedürfnisse von Menschen abdecken.

Zum Beispiel wählte ein Pastor eine ungewöhnliche Art und Weise, sich von einem schweren Schlaganfall zu erholen. Ein Teil seiner Rehabilitation waren regelmäßige Spaziergänge. Weil er auf seinen täglichen Spaziergängen Menschen dienen wollte, kombinierte er Gebet mit dem Auflesen von Abfall auf den Strassen seiner kleinen Stadt. Durch seine dienende Haltung war er Gott wohlgefällig. Menschen wurden durch seine Gebete gesegnet, und auch seine Stadt und er selbst wurden gesegnet. Dienende Leiterschaft zeichnet sich durch die Gewilltheit aus, so zu dienen, wie es Gott gefällt.

Die Haltung dienender Leiter

Leiterschaftspositionen verleihen dienenden Leitern häufig sehr viel Macht über andere Menschen. Die subtilen Versuchungen von Macht und Stellung veranlassten die christlichen Leiter des ersten Jahrhunderts, aufstrebende Leiter zu einem Leben in Demut und im Dienen herauszufordern. Der Apostel Petrus richtet sich an seine Mitpastoren und zeigt ihnen die Anforderungen, die einen untadeligen, dienenden Leiter auszeichnen. Für echte dienende Leiter ist die ihm auf Grund seiner Position verliehene Macht nebensächlich. Vielmehr ist es ihm wichtig, Menschen durch liebevolles Dienen seine Fürsorge zu schenken und die Haltung Jesu vorzuleben. Dienende Leiter sind fürsorgliche Hirten, welche die ihnen anvertrauten Menschen liebevoll beschützen und versorgen und gewillt sind, wenn nötig für ihre Herde zu sterben (1. Pet. 5, 2–4).

Dienende Leiter rüsten andere Menschen zu

Selbstlos dienende Leiterschaft lehnt sich nicht auf der ihr auf Grund ihrer Stellung zustehenden Macht zurück, sondern hat den Wunsch, andere Menschen zu fördern und für den Dienst freizusetzen. Der dienende Leiter hält begabte Menschen nicht aus Unsicherheit zurück. Beflügelt durch den selbstlosen Geist Jesu freut es ihn, wenn andere ebenfalls erhoben werden. Angefeuert durch die Vision, weitere Diener zu formen, setzt er sich ein, andere auszurüsten und freizusetzen, damit Gottes Plan sich in ihrem Leben erfüllt und durch ihren Dienst zum Ausdruck kommen kann.

Dienende Leiter entwickeln dienende Gemeinden

Wenn man dienende Leiterschaft praktiziert, entdeckt man, wie viel Freude es macht, die unterschiedlichsten Menschen im Leib Christi zu fördern. Mit der Zeit wird dadurch das feste Fundament für eine dienende Gemeinde entstehen. Diener bringen Diener hervor. Denk an Jesus und die Zwölf, die Er wählte, in Seiner Nähe zu leben. Diese spezielle Gruppe bestand aus zwölf höchst unterschiedlichen Männern. Aus dieser Unterschiedlichkeit entstand eine Gruppe von Leitern, die die Urgemeinde so entwickelte und ausrüstete, wie sie es unter der Leiterschaft von Jesus gelernt hatte. Was Jesus sie gelehrt hatte, lehrten und lebten sie vor. Dadurch wurde die Urgemeinde eine dienende Gemeinde.

Durch diese Haltung des Dienens in Leiterschaft wurde die Urgemeinde zu einer erstaunlichen Gemeinschaft ihrer Zeit. Sie war bestrebt, die Vision Jesu einer bleibenden Glaubensgemeinschaft, die alle unter ihrem Schutz annahm und ihnen diente, zu erfüllen. Die Apostel und Leiter der Gemeinde waren die visionären Vorläufer — dienende Leiter, die eine dienende Gemeinde hervorbrachten. Entgegen der Normen der damaligen Kultur wurde die Gemeinde zu einem Ort, an dem soziale Unterschiede, Herkunft und Rang keine Rolle spielten, und Menschen gelehrt wurden, einander zu lieben und in Gleichgestelltheit zu dienen (Jak. 2,5–9, 14–18; Röm. 12, 7–10). Die Entrechteten und Benachteiligten fanden in der Gemeinde ein Zuhause. Im Hinblick auf all die praktischen Bedürfnisse dieser Menschen musste die Leiterschaft äußerst sensibel und liebevoll vorgehen (Apg. 6).

Dienende Leiter interpretieren christliches Leben

Der Ruf zu dienender Leiterschaft ist eine Berufung zu aktivem Handeln. Poling und Miller stellen fest, dass geistlicher Dienst Leiterschaft bedeutet, die berufen und ausgebildet ist, die Glaubensgemeinschaft in ihren örtlichen Aktivitäten und in ihrem Einsatz in der Welt zu unterstützen. Damit meinen sie Gemeinschaft, die in einer Atmosphäre stattfindet, in der die verschiedensten Dienstgaben praktiziert werden und in der Leiterschaft gewillt ist, aktiven Einsatz zu leisten, um Gottes Reich der Welt gegenüber Ausdruck zu verleihen. (4) Leitende und Lernende erbitten von Gott gemeinsam Ideen und Strategien, um die örtliche Gemeinde freizusetzen, den Menschen in ihrem Umfeld zu dienen.

Dass Leiterschaft berufen ist zu dienen, hat tiefe Wurzeln in der dienenden Geste Jesu, mit der Er nur wenige Stunden vor Seiner Kreuzigung (Joh. 13) die Füsse Seiner Jünger wusch (Aufgabe eines Dieners). Dieses Ereignis widerspiegelte das ganze Ausmass Seiner Liebe für sie. Seine dienende Handlung versiegelte ein für alle Mal die Bedeutung von christlicher Liebe und Dienst im Denken der Jünger. Sie erkannten ihre Berufung, anderen Menschen zu dienen. Es war ein Beispiel für sie und alle, die in ihren Fussstapfen folgen. Dienen ist nicht nur eine weitere Methode, zu leiten. Dienen ist Leiterschaft gemäss Jesus.

Howard Young ist ehemaliger Direktor des Trinity Bible College, Ellendale, North Dakota. Er ist Hauptpastor der Woodland Worship Center, Oneida, Wisconsin www.woodlandworship.com/ [1]   FLG hat vom Autor des Artikels und von INSPIRATION die Genehmigung zur Veröffentlichung dieses Artikels erhalten. INSPIRATION ist eine verkürzte Version der Zeitschrift ENRICHMENT, die von den Assemblies of God, USA, herausgegeben wird. INSPIRATION dient den Bedürfnissen von deutschsprachigen Pastoren und stellt theologisch-biblisch relevante, up-to-date Artikel für die Arbeit von Gemeindeleitern und Pastoren zur Verfügung. http://enrichmentjournal.ag.org/International/German/index.cfm [2] 

FUSSNOTEN

  1. Stanley M. Horton, Isaiah: A Logion Press Commentary (Springfiel, Mo.: Logion Press, 2000), 480.
  2. David S. Young, Servant Leadership for Church Renewal (Scottsdale, Pa.: Herald Press, 1999), 157.
  3. Das «zuerst Dienen» Konzept steht im Einklang mit dem modernen Verständnis von dienender Leiterschaft. Robert Greenleaf betont, dass ein dienender Leiter zuerst Diener ist. Leiterschaft beginnt mit dem natürlichen Wunsch, zuerst dienen zu wollen. Eine bewusste Entscheidung führt dann dazu, dass man anstrebt zu leiten. Robert K. Greenleaf, The Servant as Leader (Cambridge: Center for Applied Studies, 1970), 7. Ein Studium des biblischen Vorbilds dienender Leiterschaft bestätigt, dass man zuerst Gott dient, und danach auf Grund dieser Motivation Menschen dient.
  4. 4 Donald E. Miller und James N. Poling, Foundations for a Practical Theology of Ministry. (Nashville: Abingdon Press, 1985), 20.