Urs Schmid

Großevangelisationen provozieren in Europa und Amerika immer wieder Widerstand und Kritik. Bemerkungen wie: « Die Zeit der Großevangelisation ist vorbei…» Wenn das wahr wäre, hätte Leben Live Thun nicht so erfolgreich sein können! Was kann Leben Live Thun für zukünftige Großevangelisationen bedeuten?

Leben Live Thun wird von den Organisatoren und den beteiligten Gemeinden durchwegs als Erfolg bezeichnet:

  • Über 30 mitarbeitende Gemeinden und Werke
  • Zwischen 1200 und 2000 Gäste an 10 Veranstaltungen, total 14’000 Besucher
  • Über 350 freiwillige Helfer

Überraschend viele Menschen folgten dem Aufruf zur Entscheidung und Erneuerung der Hingabe an Jesus. Die Veranstalter verzichteten zwar bewusst auf «genaue Zahlen zum Thema Entscheidung». Aber die Resonanz nach den evangelistischen Referaten und die nachhaltigen Wirkungen haben die Erwartungen übertroffen und die vielen Mitarbeitenden mit Freude und Dankbarkeit erfüllt.

AUS DER GESCHICHTE DER GROSSEVANGELISATION

Großevangelisationen sind ein Werkzeug für Evangelisation, welches Charles Finney nach 1840 maßgeblich prägte. Finneys Evangelisations-Methode war von Anfang an sowohl umstritten als auch erfolgreich. Im 20. Jahrhundert war Billy Graham der mit Abstand bedeutendste Evangelist. Nach dem Zeiten Weltkrieg füllte er die Stadien in den USA mit so großem Erfolg, dass sein Dienst bald in aller Welt Anerkennung fand und Evangelisationen mit Billy Graham auf allen Kontinenten durchgeführt wurden. Zusammen mit John Stott gründete Billy Graham das wichtigste evangelikale Instrument für Evangelisation: Die «Lausanner Bewegung», welche mit der großen Konferenz «Cape Town 2010» einmal mehr ihre den Globus umspannende Vitalität zeigte.

Trotz all dieser beeindruckenden geschichtlichen Tatsachen ist die Krise der Großevangelisation unübersehbar. Offensichtlich gelingt es nicht automatisch, mit finney’scher Methodik eine Evangelisation erfolgreich durchzuführen. Darum lohnt sich ein genauer Blick in die Hintergründe von Leben Live Thun!

Zuerst aber ein Blick auf die von Finney ins Leben gerufenen neuen Elemente (New Measures), welche zu einer erfolgreichen Evangelisation gehören. Nach Finney soll eine Evangelisation:

  • Mehrere Tage oder gar Wochen dauern
  • Die Not des verlorenen Sünders in der Verkündigung thematisiert werden
  • Den Sünder zur Entscheidung aufrufen und nach vorne kommen lassen
  • Mit den Bußwilligen eine Nachversammlung gehalten werden

Wie können und sollen diese Grundsätze von Finney 150 Jahre später erfolgreich umgesetzt werden? Das kann nicht ohne gründliche Arbeit mit einer Analyse der Zeit von Finney und einem genauen Blick auf Kultur und Zeitgeist im frühen 21. Jahrhundert gelingen.

MEHRERE TAGE ODER WOCHEN

Finneys Meinung, dass eine Evangelisation mehrere Tage dauern soll, ist bestimmt nach wie vor aktuell. Für Leben Live war es wichtig, dass die Veranstaltung mit hochprofessionellen Angeboten mit «Hymns and Prayers» begann, bevor die eigentlichen acht evangelistischen Events starteten.

FAZIT: Nach wie vor ist zu beachten, dass eine Veranstaltungsreihe von einer Woche viel mehr Aufmerksamkeit erregt und Wirkung zeigt als ein Sonntagsgottesdienst oder drei evangelistische Veranstaltungen an einem Wochenende.

KOMMUNIKATIONSKULTUR

Finney hat offensichtlich die Kommunikationskultur seiner Zeit so genau getroffen, dass seine Veranstaltungen großen Andrang auslösten. Seine Evangelisationen haben sich «auf dem Markt» bewährt. Die Veranstaltungen von Leben Live waren ausnahmslos «fernsehtauglich»! Von Anfang an wurde unter der Leitung von Timo Schuster darauf geachtet, dass auf der Bühne ein hoch professionelles Programm geboten wurde. Musiker, Moderatoren, Interviewpartner, Pantomime, Theatereinlagen und Referenten: Alle wurden ausgesucht und angewiesen, eine bühnenreife Höchstleistung zu zeigen. Dadurch hat sich Leben Live auch auf dem neuzeitlichen Markt bewährt. Die hohe Qualität der Performance auf der Bühne hat die Besucher Abend für Abend überzeugt. Freude und Begeisterung prägten die ganze Zeit der Veranstaltung.

FAZIT: Evangelisation ist auf den «Erfolg» im freien Markt der neuzeitlichen Veranstaltungen angewiesen. Suchende und offene Menschen erwarten eine Präsentation des Evangeliums in zeitgemäßer Form. Wenn sich das Programm auf der Bühne einer Evangelisation mit einer Fernsehsendung messen kann, wird der Gast im Rahmen heutiger Kommunikationskultur angesprochen.

ZUM INHALT DER VERANSTALTUNG

Finney wollte den inneren Zustand des verlorenen Menschen thematisieren und ihn damit zur Umkehr bewegen. Das Weltbild hat sich natürlich seit der Zeit von Finney massiv verändert. Die Menschen der damaligen Zeit lebten noch in mittelalterlicher Gottesfurcht und in der Angst vor ewiger Verlorenheit. Wie zur Zeit von Martin Luther war die Frage aktuell: «Wie kriege ich einen gnädigen Gott?». Der Mensch in der postmodernen Zeit lebt keineswegs in diesem Weltbild. Doch er erlebt die Verlorenheit in anderen Zusammenhängen hautnah: 1000 Freunde auf Facebook – und doch allein! Die Frage nach dem Sinn des Lebens – oder eben der postmodernen Sinnlosigkeiten – bedrängt die Menschen heute so sehr, dass in der Schweiz jedes Jahr über 1000 Suizide zu beklagen sind. Die «Volksseuche Scheidung» betrifft in irgend einer Form jeden Menschen und stellt die dringende Frage nach tragenden Beziehungen. Die Leistungsgesellschaft misst den Wert einer Person an seiner Leistungsfähigkeit, was für zahllose Menschen zur drängen en Frage: «Was bin ich wert?» führt.

Leben Live hat das Motto: «Weil das Leben Fragen stellt» gewählt. Es prägte die Suche nach den richtigen Themen, geeigneten Interviewpartnern und Referenten. Das professionell moderierte Vorprogramm schaffte die Verbindung von Unterhaltung, Show und Einführung in die Thematik der Veranstaltung. Das Referat war mit rund 30 Minuten kurz und klar. Jede Botschaft führte zum Kreuz von Jesus Christus und gipfelte im Aufruf, sich Jesus Christus und gipfelte im Aufruf, sich für die Beziehung zu Jesus zu entscheiden. Jeden Abend folgten größere und kleinere Gruppen dem Aufruf.

FAZIT: Ohne Zweifel ist das postmoderne Denken unserer Zeit eine Herausforderung für die evangelistische Verkündigung! Ein Rückfall in die mittelalterliche Bildsprache ist kontraproduktiv, weil sie keinen sinnvollen Zusammenhang mit dem Denken und Erleben des Zuhörers hat. Doch das Evangelium hat in jeder Kultur Kraft. Das biblische Motto: «Weisst du nicht, dass Gottes Güte dich zur Umkehr leitet» (Römer 2,4) ist auch für den postmodernen Zuhörer außerordentlich stark: Jesus gibt seine Liebe, Vergebung, Zugang zum Vaterhaus, inn und Wert, Orientierung und Beziehung usw.

DER RUF ZUM KREUZ

Finney hat gelehrt, dass der Sünder zur Entscheidung aufgerufen werden soll. Als Zeichen der Entscheidung soll er nach vorne kommen. Zweifellos ist dieser Aspekt der finney‘schen Methodik immer wieder «anstößig». Für Gäste ist es anspruchsvoll, in einer vielleicht unbekannten und fremden Umgebung «nach vorne» zu kommen. Es ist für den Verkündiger nicht einfach, diesen «Ruf» in der richtigen Art abholend, einladend, ernst und freundlich zu gestalten. Bei Leben Live war der Aufruf jeden Abend der wichtige und auch fröhliche Abschluss. Ohne zusätzliche Animation folgten junge und ältere Menschen dem Ruf nach vorne. Oft wurden sie von Freunden und Bekannten begleitet.

FAZIT: Gerade der Ruf zum Kreuz als Höhepunkt und Ziel der Veranstaltung darf als

Kennzeichen einer Evangelisation im Sinn von Charles Finney auf keinen Fall fehlen.Er gehört zur Evangelisation im Sinn von Finney wie das Amen zum Schluss eines Gottesdienstes! Ohne diese evangelistische Spitze verliert die ganze Veranstaltung das

eigentliche Herzstück und kann sich nicht mehr als Fortsetzung von Evangelisation im Sinn vom Finney verstehen. Auf jeden Fall soll dieser Ruf zum Kreuz so gestaltet werden, dass die Zuhörer in Freiheit und Würde antworten und reagieren können. Die Notwendigkeit der Hingabe an Jesus soll für jeden Besucher unmissverständlich klar werden. Gleichzeitig soll eine Entscheidung in Freiheit und als Antwort auf Gottes gewaltige Liebe getroffen werden.

NACHVERSAMMLUNG, SEELSORGE UND GEMEINDE

Finney verlangte, dass mit den Bußwilligen eine Nachversammlung gehalten werden soll. Die Gemeinden in den USA zur Zeit von Finney hatten nicht viele, gut ausgebildete Pastoren. Oftmals musste mit einer Evangelisation «kompensiert» werden, was an regulärem Gemeindeleben fehlte. Betrachten wir das Neue Testament als Ganzes, so liegt der entscheidende Fokus nicht auf einzelnen evangelistischen Veranstaltungen, sondern auf dem Gemeindeleben als Ganzes. In einer Umgebung von etablierten Gemeinden müsste das Verständnis wohl eher so lauten, dass das Gemeindeleben «kompensiert» was den evangelistischen Events an Tiefe, Verbindlichkeit, Seelsorge usw. fehlt! Wenn der Grundsatz stimmt, dass der (rettende) Glaube aus der Predigt (Verkündigung) kommt, dann ist damit sicher nicht nur die Verkündigung während einer Evangelisation gemeint, sondern die fortwährende Verkündigung in der lokalen Gemeinde!

Bei Leben Live war die Seelsorge in diesem Sinn so gut organisiert, dass alle Menschen, welche dem Ruf zum Kreuz folgten, auch qualifiziert ausgebildete Gesprächspartner fanden. Bei diesen Gesprächen ging es einerseits um die eben an diesem Abend getroffene Entscheidung – aber auch um den weiteren langfristigen Kontakt der neu Glaubenden zu geeigneten Begleitpersonen. Generell ist bei Leben Live aufgefallen, dass viele Christen ihre Aufgabe als Begleitpersonen entdeckten. So wird im Idealfall ein Gast von einem Christen zur Veranstaltung eingeladen, beim Ruf zum Kreuz nach vorne begleitet und anschließend in seiner Entwicklung als junger Christ Schritt für Schritt betreut und begleitet.

FAZIT: Die Betreuung der neu Glaubenden war für Finney ein entscheidendes Anliegen. Diese Dringlichkeit hat nichts von ihrer Aktualität verloren! Wichtig ist in diesem Zusammenhang sicher die Aufgabe und Berufung der ganzen Gemeinde. Leider hat es sich in der Kirchengeschichte immer wieder gezeigt, dass Christen eher zu passiven Besuchern kirchlicher Veranstaltungen wurden, statt zu aktiven «Jünger-Machern»! Je mehr Christen ihre Berufung als «Jünger-Macher» erkennen und von ihren Gemeinden dabei geschult und unterstützt werden, desto bessere Begleitpersonen stehen jenen Menschen zur Verfügung, die echt auf der Suche nach Gott und dem Sinn des Lebens sind.

TRAGENDE GEMEINSCHAFT – EVANGELISCHE ALLIANZ

Bei den «New Measures» von Finney fehlt die zentrale Bedeutung der tragenden Gemeinschaft. In der Region Thun hat sich über Jahrzehnte die regionale Evangelische Allianz bewährt. Immer wieder hat diese Gemeinschaft das Patronat für Evangelisationen übernommen. Mit ProChrist und Ulrich Parzany wurde in Thun 2011 die letzte Großevangelisation von Leben Live durchgeführt. Die Leiter christlicher Kirchen in der Region Thun haben einen langen