Sarah Hamaker
Als ich 16 Jahre alt war, adoptierten meine Eltern die zweijährigen Zwillinge Jenny und James*, die schon seit ihrem fünften Lebensmonat bei uns zur Pflege gelebt hatten. Die beiden wuchsen, genau wie ich, in einem liebevollen Zuhause auf, das von christlichen Werten geprägt war. Sie hatten eine betende Mutter und einen betenden Vater, die ihren Kindern die biblischen Wahrheiten vermittelten.
Doch wie es leider allzu oft sowohl in christlichen, wie auch in nicht-christlichen Elternhäusern kommt, wählte James einen Lebensweg, der in die Selbstzerstörung hineinführte und nicht hin zu einem erfüllten Leben. Er trieb sich mit anderen Jungen herum, die mit dem Gesetz in Konflikt kamen. Sie rauchten, tranken Alkohol und „organisierten“ sich Fahrzeuge, mit denen sie ziellos herumfuhren, um sie dann irgendwo einfach wieder abzustellen. James wurde ins Gewissen geredet, er wurde gewarnt, er bekam Konsequenzen zu spüren und für ihn wurde intensiv gebetet. Doch trotz allem wurde er kurz nach seinem 18. Geburtstag wegen einer Ordnungswidrigkeit in polizeiliches Gewahrsam genommen. Etwa ein Jahr später kam er wieder in Untersuchungshaft. Zurück auf der Straße wurde er bald noch einmal inhaftiert. Doch dieses Mal konnte ihm eine Straftat nachgewiesen werden und so landete er für 17 Jahre hinter Gittern.
Damit war er ein inhaftierter Krimineller und meine Eltern waren am Boden zerstört. Sie wurden von Fragen gequält, die sich jede Mutter und jeder Vater stellen würden, besonders als gläubige Eltern: Habe ich wirklich alles mir Mögliche getan? Warum hat er sich so weit von Gott entfernt, obwohl ich ihn doch von frühester Kindheit an christlich erzogen habe?
Es sind diese Fragen, die uns nachts wachliegen lassen, wenn wir als Christen ein Kind haben, das nicht umkehren will. Diese Fragen können uns innerlich schier zerreißen. Und es sind Fragen, die wir anderen Christen oftmals gar nicht erst stellen wollen. „Wir müssen uns bewusst machen, wie sehr Eltern leiden, deren Kinder sich vom Glauben abgewandt haben”, sagt Jessica Thompson, die zusammen mit ihrer Mutter Elyse Fitzpatrick den Elternratgeber „Give them Grace“ geschrieben hat. „Wir sollten uns immer daran erinnern: Wenn jemand weiß, wie sehr es schmerzt, wenn sich jemand innerlich abwendet, dann ist es Christus. Wir dürfen hier nicht verurteilen. Und wir dürfen auch nicht unsere ganzen Fehler und Unzulänglichkeiten unserer Kindererziehung wieder hervorkramen, denn die wurden uns schon längst vergeben.”
Was können wir als Eltern tun, wenn unser Kind sein Herz Gott gegenüber verhärtet hat oder sich sogar von den biblischen Wahrheiten abgewandt hat? Dazu möchte ich gerne folgende Gedankenanstöße geben.
- Es gibt kein Patentrezept
Vergiss nicht: Es gibt kein Patentrezept dafür, wie man seine Kinder „richtig“ erzieht. „Wir meinen oft, dass unsere Kinder gewiss den richtigen Weg gehen würden, wenn wir in unserer Kindererziehung alles richtig machten“, so Thompson. „Doch Tatsache ist: niemand von uns macht alles richtig. Jesus macht sein Wirken nicht von richtigen und guten Taten abhängig. Er hat sich dem Gesetz der Gnade verpflichtet. Deshalb schaut Gott auch nicht darauf, wie sehr Eltern mit der Erziehung ihrer Kinder Erfolg hatten oder auch nicht. Und er ist auch von ihnen nicht enttäuscht.“
- Beten, beten und immer wieder beten
Wir sollten für und mit unseren Kindern beten, sowohl alleine als auch als Familie. Wir sollten unsere Kinder anleiten, ihr eigenes Gebetsleben zu entwickeln. Wir sollten sie ermutigen, alle ihre Gedanken, Geheimnisse, Ängste, Sorgen, aber auch das, worüber sie sich freuen und was sie gerne mögen, ihrem himmlischen Vater anzuvertrauen.
- Nicht stigmatisieren
Wir sollen sehr vorsichtig sein, unsere Kinder in die Schublade der „Unbußfertigen” zu stecken. „Besonders wir als christliche Eltern erwarten oft ein perfektes Kind, auch, wenn wir das nicht offen zugeben würden”, sagt Thompson. Das führt dazu, dass wir meinen, unser Kind sei unbußfertig, obwohl es in Wahrheit vielleicht nur eine schwere Zeit durchmacht und Glaubenswahrheiten hinterfragt.
„Es ist ein Unterschied, ob wir ein Kind haben, das uns frei heraus sagt, nicht an Gott zu glauben, ansonsten aber ein gehorsames und liebes Wesen hat oder ob wir ein Kind haben, das uns wissen lässt, nichts mehr mit uns zu tun haben zu wollen und demonstrativ nichts von dem befolgt, was wir ihm sagen“, sagt sie. „Es ist gut, wenn Kinder auch mal Zweifel haben. Wir sind unseren Kindern gegenüber oft zu hart und meinen, sie hätten ihre Herzen verhärtet, obwohl sie sich in Wahrheit einfach nur kindisch benehmen.“
- Den Weg zu Christus zeigen
Wenn unsere Kinder eine innere Umkehr brauchen, ist es das Beste, wenn wir ihnen als Eltern den Weg zu Christus zeigen. „Die Bibel bezeugt ganz klar, was uns zur Umkehr führt: Gottes Güte und Freundlichkeit”, so Thompson. „Wenn unsere Kinder noch nicht die lebensverändernde Kraft des Evangeliums erfahren haben, möchten wir, dass sie nach außen hin den Gesetzen folgen und lassen sie aber wissen, dass wir weiterhin um Christi Willen für sie beten und sie uneingeschränkt lieben werden.“
- Nicht für sie schämen
Wir sollten unseren Kindern zeigen, dass wir sie lieben und ihnen nicht sagen, dass wir uns für sie oder ihr Verhalten schämen. „Wenn wir so was sagen, wie ‘Ich schäme mich für dich’ oder ‘Ich kann nicht glauben, dass du so etwas tust’, zeigen wir damit, wie selbstgerecht wir im Grunde selbst sind”, so Thompson. „Wenn uns bewusst ist, wo Gott uns selbst herausgeführt hat und dass das Evangelium ein Evangelium der Gnade ist, sollten wir unseren Kindern vermitteln: Nichts kann einen von der Liebe Gottes trennen, wenn man ein Kind Gottes ist.“
- Es ist Gott, der errettet und nicht wir
Oftmals meinen wir als Eltern, dass es unsere Aufgabe ist, unsere Kinder dahin zu bringen, sich für Christus zu entscheiden. Doch dann lassen wir uns von Angst regieren. „Es liegt nicht in unserer Verantwortung, dass sich unsere Kinder bekehren”, so Thompson. Wir sind dazu berufen, unsere Kinder in den Wegen des Herrn zu unterweisen. Doch dann sollten wir ganz Gott vertrauen und seiner Verheißung glauben, dass er sich um ihre Errettung kümmert und darin zur Ruhe kommen.
- Liebe praktisch werden lassen
Wenn wir sehen, dass Sünde das Herz unseres Kindes verhärtet hat, ist es manchmal schwer, es dennoch zu lieben. Doch genau dann brauchen unsere Kinder unsere Liebe am meisten. „Wir sollten ihnen so oft wie möglich mit kleinen, liebevollen Gesten eine Freude machen”, so Thompson. Das heißt nicht, dass man sie weniger mit notwendigen Konsequenzen konfrontieren soll. „Doch lasst uns diese Liebesbeweise immer aus Liebe tun und ohne den Hintergedanken, dass sich dann vielleicht unser Kind verändert. Nur Gott kann Herzen verändern”, sagt sie.
- Die Tür zurück nach Hause offenhalten
Kinder jeden Alters finden es oft schwierig, Fehler einzugestehen und den ersten Schritt wieder in die richtige Richtung zu machen. Selbst wenn die äußeren Umstände gut sind, ist es nicht einfach, sich zu entschuldigen und klein beizugeben. Wenn dann noch ein Streit mit den Eltern hinzukommt, wird dieser Schritt zu einem fast unüberwindbaren Hindernis für das Kind. Doch wir sollten das, was in unserer Macht steht, tun, um ihm die Tür zurück nach Hause offenzuhalten.
In all dem hoffen wir auf die Einsicht unserer Kinder, falsch gehandelt zu haben. Doch es liegt nicht in unserer Macht, sie in ihrem tiefen Inneren davon zu überzeugen – das kann nur Gott. Deshalb sollten wir sie wissen lassen, dass wir sie lieben und sie auch mit notwendigen Konsequenzen konfrontieren. Doch wir sollten ihnen auf ihren Weg hin zur Umkehr keine Steine in den Weg legen oder ihn durch tiefe Kluften unpassierbar machen. Sondern lasst uns diesen Weg mit Liebe und Vergebungsbereitschaft pflastern.
*Namen geändert.
Sarah Hamaker ist Mitarbeiterin beim Rosemond Leadership Parenting Coach Institute. Sie ist Schriftstellerin und Redakteurin und hat das Buch Ending Sibling Rivalry: Moving Your Kids From War to Peace geschrieben. Sarah wohnt in Fairfax, Virgina/USA, mit ihrem Mann und vier Kindern. Sarah ist Online zu finden.