Hintergrund

An einem warmen Augusttag traf ich mich mit Mark im Hillsong-Büro in der Danziger Straße, die die Berliner Stadtteile Prenzlauer Berg und Friedrichshain verbindet. Am 3. Oktober 2021 feierte die Hillsong-Gemeinde Berlin ihren 12. Geburtstag.

Mark ist mit Joyce verheiratet und sie haben zwei Kinder – Isaak, 22, und Lila, 20 Jahre. Mark kam in einer kleinen Pfingstgemeinde im Nordosten Englands zum Glauben. Dort lernte er auch Joyce kennen. Nachdem er sein Studium in Elektrotechnik abgeschlossen hatte, gründete er seine eigene Firma. Im Alter von 28 Jahren verspürten Mark und Joyce den Wunsch, ihren Glauben zu vertiefen, und trafen die Entscheidung, das Hillsong-College in Sydney zu besuchen. Mark sagt: „Hier lernten wir die Grundlagen der geistlichen Gaben und wie man sich für das Wirken des Heiligen Geistes öffnet.“

Im dritten Jahr ihres Studiums am Hillsong-College wurde Mark gebeten, die vielen Studenten aus Europa zu betreuen, was bedeutete, dass er direkt mit Brian Houstonzusammenarbeitete. Als ihre Zeit in Sydney vorüber war, bot Brian Houston Mark an, in der Hillsong-Gemeinde in London zu arbeiten. Dort war er dann 7 Jahre lang Pastor und setzte sich dafür ein, die Menschen mit der guten Nachricht zu erreichen und neue Leute in die Gemeinde zu bringen.

Während seiner Zeit in London fuhr Mark gelegentlich nach Berlin, um das kleine Team zu ermutigen, das dort gerade dabei war, eine Gemeinde zu gründen. Nach einigen dieser kurzen Besuche spürte Mark schließlich, dass Gott ihn dazu berief, nach Berlin zu gehen und in dieser Gemeinde, deren Team damals aus etwa 10 Personen bestand, als Pastor zu dienen.

Paul: Wie war es für dich, als du nach Berlin kamst?

Mark: Ich traf die Entscheidung, keinen öffentlichen Gottesdienst abzuhalten, bevor nicht eine Kerngruppe von mindestens 70 Menschen zusammengekommen war. Das dauerte etwa 18 Monate. Die Arbeit fing bei diesen Menschen zu Hause an. Unsere Strategie, mit der wir versuchten, Menschen zu erreichen, war Großzügigkeit und Gastfreundschaft.

Paul: Könntest du diese Strategie etwas näher erläutern?

Mark: Am Donnerstagabend, wenn alle von der Arbeit zurück waren, trafen wir uns und arbeiteten zusammen an dem Teamaufbau und unserer gemeinsamen Vision. Am Freitagabend traf man sich zwanglos, einfach um Zeit miteinander zu verbringen und zu chillen. Gott hat mir nicht viel mehr gesagt als die Stichworte Großzügigkeit und Gastfreundlichkeit. Gastfreundlichkeit entwaffnet die Menschen und gibt ihnen Sicherheit. Großzügigkeit ist bedingungslose Liebe.

Gastfreundschaft definiert sich durch die Art und Weise, wie man die Menschen sieht und wie man mit ihnen umgeht. Den Menschen zu dienen bedeutet, dass allen dieselbe Aufmerksamkeit zuteilwird, während man im Rahmen der Gastfreundschaft auf jeden Einzelnen eingehen kann. Damit begibt man sich auf eine sehr persönliche Ebene. Jeder ist einzigartig und muss als Individuum behandelt werden. Das hat Gott mir besonders auf Herz gelegt: Jeder ist individuell und wir dürfen nicht versuchen, ihn in eine Form zu pressen. Wir zeigten unsere Gastfreundschaft im Rahmen von „Dinnerpartys“, auf denen wir Essen und Trinken anboten. Wir haben festgestellt: Wenn man um einen Tisch herumsitzt, fühlen sich die Menschen sicher und öffnen sich. Nimmt man jedoch den Tisch weg und lässt die Menschen im Kreis sitzen, sind sie eher eingeschüchtert und unsicher. Wir haben noch viele weitere soziale Faktoren beobachtet, die hier eine Rolle spielen. Viele Menschen waren passiv, furchtsam und engherzig, aber während des gemeinsamen Essens öffneten sie sich und man konnte sehen, wie sie sich verändern.

Zuerst hielten wir die Dinnerpartys bei uns zu Hause ab. Schließlich gingen wir dazu über, uns in Restaurants und Cafés zu treffen. Bald folgten andere Paare unserem Beispiel. In gewisser Weise waren die Treffen wie Alpha-Kurse, nur gab es keine Lehre.

Paul: Was habt ihr während der ersten Jahre noch gemacht?

Mark: Unsere zweite Strategie bestand darin, über eine Zeit von 10 bis 15 Jahren hinweg eine Leiterschaft aufzubauen. Jetzt sind wir im zwölften Jahr. Als sich schließlich 83 Personen in unserem Wohnzimmer einfanden, beschlossen wir, unsere öffentlichen Gottesdienste zu starten.

Gastfreundschaft ist eine Sprache, die man bewusst einsetzen sollte. Wir haben nie billiges Essen auf Plastiktellern serviert. Es gab immer nur selbstgekochtes Essen, keine Fertiggerichte. Man kann keine Gemeinde aufbauen, wenn die Menschen sich nicht geschätzt fühlen, und wenn man ihnen das Gefühl gibt, wichtig zu sein, sehen sie auch, dass sie Gott wichtig sind.

Durch das gemeinsame Essen und Trinken schufen wir eine Atmosphäre der Großzügigkeit, in der Wertschätzung und die Liebe des Himmels spürbar waren. Wir entwaffneten die Menschen, indem wir sie um einen Tisch herum gruppierten. Wenn die Gemeinde wächst, wächst auch das Vertrauen. Vertrauen ist ein bedeutender Faktor. Du wirst nie Vertrauen haben, wenn die Menschen dich nicht mögen oder dir nicht glauben. Als das Vertrauen in der Gemeinde wuchs, mussten wir den Menschen sehr aufrichtig zeigen, wer wir sind, was wir tun und was wir für sie glauben. Dadurch, dass sie uns vertrauen, fangen sie auch an, Gott zu vertrauen oder andersherum. Mit der Zeit fangen sie dann auch an, einander zu vertrauen, und das ist der Zeitpunkt, in dem die Gemeinde wächst, weil sie anfangen, ihre Freunde mitzubringen. Wenn das passiert, kommt etwas in Bewegung.

Leiterschaft ist eine Sprache. Meine Frau und ich haben versucht Deutsch gelernt, als wir hierherkamen, aber ich war ein schrecklicher Schüler. Ich hatte großartige Lehrer, aber das Lernen fiel mir schwer.

Ich spürte, dass Gott mir auftrug, während der ersten zehn Jahre eine Leiterschafts-Mentalität aufzubauen. Zuerst musste ich viel Zeit damit verbringen, zu definieren, was Leiterschaft bedeutet und was nicht. Die Mentalität eines Leiters zu haben bedeutet, zu sehen, wer reagiert, wer hungrig ist und wer sich öffnet. Man glaubt an jeden, aber in manche Menschen investiert man mehr Zeit, vor allem in die Menschen, die hungrig sind.

Paul: Kannst du ein Beispiel dafür nennen, welche Faktoren dir in der Leiterschaft besonders wichtig waren?

Mark: Ich bot einigen Menschen, die sich für die Lobpreismusik interessierten, an, ihre Freunde zu einer Party in meinem Garten einzuladen. Ich hörte zu, wie sie Musik machten, und sagte dann: Hey, ihr könnt singen und solltet eine Band gründen. Es dauerte elf Monate, bis sie vier Lieder gelernt hatten. Ich machte es mir zur Aufgabe, sie zu beobachten. Durch Beobachtung kann man Dinge in Menschen sehen, die sie oft selbst nicht sehen.

Für mich ist die Leiterschaft etwas, das man sehr bewusst ausüben muss. In der Gründungsphase unserer Gemeinde sprach ich viel über Potenzial, über den Stellenwert der Dinge und über unsere Vision und beobachtete genau, wer darauf reagierte. In diese Menschen investierte ich mehr Zeit. Außerdem fielen mir dabei Menschen auf, die zerbrochen waren und pastorale Hilfe brauchten. Dabei ist es wichtig, langsam zum Sprechen zu sein, genau zuzuhören, die richtigen Fragen zu stellen und sie auf Jesus hinzuweisen.

Ich habe drei Rollen, wenn man es so nennen will. Da ist zum einen die als Leiter, in der ich über Potenzial, Werte und die Vision spreche, die nötig ist, um eine Gemeinde aufzubauen. Für die Menschen, die zerbrochen sind, schlüpfe ich in die Rolle des Pastors. Ich möchte sie in dieser Situation nicht allein lassen und frage sie immer, wie es ihnen geht und wie ich für sie beten kann. Und dann ist da die Rolle des Freundes. Manchmal weiß man nicht, was man sagen soll, aber man kann einfach für die Menschen da sein. Ich würde sagen, eine Gemeinde aufzubauen und über eine Vision zu sprechen, ähnelt einem Architekten, der beginnt, den Menschen seine Baupläne zu erklären.

Paul: Wo habt ihr euch getroffen, als ihr anfingt, öffentliche Gottesdienste abzuhalten?

Mark: Unser erster öffentlicher Gottesdienst fand 2011 in einem Kino am Potsdamer Platz statt. Das war jedoch nur kurze Zeit möglich. Im Lauf der Jahre haben wir die Gottesdienste wahrscheinlich an 150 verschiedenen Orten abgehalten. Seit Juli haben wir wieder Präsenzgottesdienste, nachdem diese während der Coronakrise 16 Monate lang nicht stattfinden konnten. In dieser Zeit waren wir jedoch online sehr aktiv. Jetzt halten wir jeden Sonntag im Meliá-Hotel in der Friedrichstraße drei Gottesdienste ab, die wir später auch auf YouTube hochladen. Es gibt immer noch Menschen, die sich den Gottesdienst lieber online ansehen, weil sie Angst haben, sich in eine Menschenmenge zu begeben.

Paul: Was waren die größten Herausforderungen, auf die du als Leiter der Gemeinde in den ersten zehn Jahren getroffen bist? Welche Lösungen hast du dafür gefunden?

Mark: (Zieht sofort sein Handy heraus und liest ab) Das waren sieben Herausforderungen:

Engstirniges Denken
Passivität
Starre Haltungen
Falsch orientierter Glaube
Der Mangel an Umsetzung
Geteilte Herzen
Armutsdenken.

Die Lösung für diese Herausforderungen:

Großes Denken
Proaktives Verhalten
Auf Wachstum ausgerichtetes Denken
Glaube an Gott allein
Die Umsetzung dessen, was wir lernen
Eine loyale Haltung
Ein großzügiger Geist.

Bei einer Gemeindegründung muss man mit den Menschen arbeiten, die dort auftauchen, und dabei kann man die Gnade Gottes auf ganz erstaunliche Weise sehen. Viele von ihnen dachten engstirnig, hatten ein starres Denken und konnten die Dinge nicht umsetzen. Das Evangelium überwindet solche Dinge, aber nur weil man das Evangelium predigt, bedeutet das nicht, dass die Menschen es glauben. Das ist die Herausforderung. Man predigt das Evangelium durch Essen, Gastfreundschaft und Großzügigkeit und investiert gleichzeitig durch Freundschaft und eine Kultur der Leiterschaft in die Menschen.

Paul: Welche Fragen stellst du dir im Hinblick auf die Leitung von Hillsong?

Mark: Warum kommen die Menschen in die Gemeinde, und warum bleiben sie? Und wenn sie bleiben, wie wachsen sie? Und wenn sie wachsen, in welche Richtung gehen sie? Das Kommen, Bleiben, Wachsen und die Weiterentwicklung sind die Schlüsselfaktoren, die jeder aufmerksam beobachten sollte.

Unser Gebet ist, dass wir anderen Gemeinden ein Beispiel dafür geben, was möglich ist. Manchmal geht Gott ungewöhnliche Wege. Bedenke, dass ich nicht einmal Deutsch spreche. Wir halten unsere Gottesdienste auf Englisch ab, und über Headsets stellen wir die Übersetzung auf Deutsch, Polnisch, Spanisch und Portugiesisch zur Verfügung. Vor Covid-19 besuchten etwa 1200 Erwachsene und Kinder die Sonntagsgottesdienste; jetzt sind es etwa 1000 Besucher. Etwa 60 Prozent von ihnen treffen sich während der Woche in kleinen Gruppen. Die Kleingruppen sind umso wichtiger, je größer unsere Gemeinde wird.

Eine der Herausforderungen, vor der wir momentan stehen, ist, dass wir durch Corona Menschen verloren haben. Sie waren wahrscheinlich nicht so engagiert, und das Leben hat sie uns einfach weggenommen.

Die Sprache ist kein Problem, es sei denn, man macht sie dazu. 75 Prozent unserer Gemeindemitglieder sind zwischen 18 und 33 Jahren alt, und die meisten von ihnen sind zweisprachig, weshalb es kein Problem ist, dass unsere Gottesdienste auf Englisch abgehalten werden. Etwa 70 Prozent der Mitglieder sprechen Deutsch und 30 Prozent eine andere Sprache.

Die Welt verändert sich – nicht nur durch Corona –, und was immer passiert: Die Gemeinde muss Licht bleiben und handeln wie der gute Samariter, der metaphorisch gesprochen Öl und Wein ausgießt. Ich glaube, Gott hat uns dazu berufen, die Menschen in ihre Berufung hineinzuführen. Wir müssen noch mehr Gläubigen helfen, das, was sie lernen, in ihrem alltäglichen Leben umzusetzen. Die Herausforderung für die Gemeinde besteht darin, die Gemeinde zu sein, die Jesus jetzt in dieser zerbrochenen Welt braucht. Wie sieht diese Gemeinde aus? Wie erziehen wir unsere Kinder? Wie motivieren wir die Christen dazu, sich in den Bereichen Bildung, Politik und Finanzen sowie jedem anderen Aspekt der Gesellschaft zu engagieren?

Wie stellt sich die Ortsgemeinde sonntags dar? Befähigt sie die Gläubigen, ihren Glauben auch an den Tagen unter der Woche spürbar, eindrucksvoll und weise auszuleben? Ich glaube, die Gemeinden, die in unserer zerbrochenen Welt Einfluss ausüben und den Menschen helfen, sind Gemeinden, die wissen, welche Aufgabe sie haben. Sie sind nicht nur mit sich selbst beschäftigt, sondern wirken leidenschaftlich der Zerbrochenheit der Gesellschaft entgegen, was immer sie dafür tun müssen.

Gemeinden, die zwar zum Sonntagsgottesdienst gut gefüllt sind, in denen aber keine Gemeinschaft herrscht, hatten aufgrund von Corona zu kämpfen. Aber Menschen, die weiterhin Gemeinschaft hatten, haben diese Zeit gut überstanden.

Es ist erstaunlich zu sehen, wie unterschiedlich das Leben von Menschen in derselben Zeit verlaufen kann. Es geht immer darauf zurück, welche Herzenshaltung sie haben und wie fest sie gegründet sind. Viele hören zwar die Predigten am Sonntag und tausend andere Predigten von Pastoren, aber weder wenden sie ihren Glauben an noch leben sie ihn.

Als Leiter müssen wir über das Potenzial der Gemeinde sprechen. Wenn du junge Leiter für die Zukunft heranbilden willst, gibst du ihnen nur dann eine Chance, wenn du ihr Potenzial ansprichst. Wir haben jetzt die Chance etwas Großes zu tun, für das wir bisher nicht den Mut hatten. Die Zeit nach Corona bedeutet, dass wir so viel mehr tun können als vorher. Für Hillsong Berlin bedeutet die Zeit nach Corona, dass wir unseren Beitrag dazu leisten, in Prag und Warschau neue Gemeinden zu gründen und eine Gemeindegründung in Bukarest zu unterstützen. Die Hillsong-Gemeinde in Berlin liegt im Osten, und wir sehen nach Ost Europa, um neue Gemeinden zu gründen, wie Freimut Haverkamp von Hillsong Konstanz, der es sich zum Ziel gemacht hat, im ganzen deutschsprachigen Europa neue Gemeinden zu gründen.

Wir haben jetzt die besten Gelegenheiten, die wir je hatten. Die Frage ist nur: Wie nutzen wir sie?

Die ersten 10 Jahre waren Pionierjahre. In den nächsten sieben Jahren wollen wir uns in Berlin mehr etablieren. Dafür dienen uns die folgenden Projekte:

„Artists still live“ – hier versuchen wir, die Gemeinde dafür zu nutzen, dass junge Menschen sich über verschiedene Themen austauschen können. Mit dieser Plattform kann unsere Gemeinde auch der Stadt dienen.

Mit dem „Kindness-Project“ versuchen wir, den Menschen in Berlin, die in einer schwierigen Lage sind, zu helfen.

Etablierter zu werden bedeutet, alles, was wir bereits tun, nochmals zu bekräftigen.

Darüber hinaus haben wir das „L.I.F.T. (Leadership Influence Future Today)“-Programm gestartet. Das ist eine Konferenz, die den Menschen hilft, in ihrem alltäglichen Leben über ihren Glauben zu sprechen und sie ermutigt, kreativ zu sein. Dieses Projekt ist auf die Zukunft ausgerichtet.

Wir wollen sehen, dass die jungen Menschen ihren Glauben in ihrem Alltag ausleben. Das könnte bedeuten, dass wir soziale Unternehmen gründen, mit Schulen zusammenarbeiten, in problematischen Teilen der Gesellschaft tätig werden und neue Wege begründen. Das ist innovativ und unternehmerisch. Berlin ist eine zerbrochene Stadt und braucht verzweifelt all die erwähnte Unterstützung.

Paul: Mark, danke, dass du dir die Zeit genommen hast, über deine Gemeinde und deine Vision für den Gemeindedienst zu berichten.

Mark: Sehr gerne, Paul. Ich bin beeindruckt und dankbar, dass du dir die Zeit genommen hast, deine Doktorarbeit über die Gründung von Pfingstgemeinden in Deutschland zu schreiben. Danke auch, dass du mir von den vielen kleinen Ortschaften in Deutschland berichtet hast, die keine einzige bibeltreue Gemeinde haben. Darüber werde ich ernsthaft nachdenken.