Wie kommt man durch im Dienst mit Leiden und Schmerzen?
Ruedi Suhner
Ich war nicht begeistert, dass ich so lange auf den OP-Termin hatte warten müssen, und dass ich über Karfreitag und Ostern im Spital liegen würde ist nicht gerade der Traum eines Pastors. Wegen wiederholten Divertikelentzündungen im Dickdarm war der Eingriff aber nötig geworden und ich wollte auf keinen Fall mehr länger zuwarten.
Als ich in der Osterwoche 2015 dann im Kantonsspital St.Gallen auf dem ‚Schragen’ lag und auf die Operation vorbereitet wurde bewegten mich viele Gedanken. Mich beschäftigte nicht so sehr der bevorstehende Eingriff. Ich konnte ja dankbar sein, dass wir in unserem Land so hervorragend medizinisch versorgt sind. Nein, mich beschäftigte mehr die Menge der schwierigen Situationen, die wir in letzter Zeit erlebt hatten.
So hatte auch meine Frau Hanna immer wieder gröbere gesundheitliche Probleme gehabt. Unter anderem leidet sie seit Kindheit unter Rückenschmerzen, die man nie richtig in den Griff bekommen konnte. Wir standen immer wieder vor der Frage, ob man operieren sollte. Auch die Situation unserer Sekretärin in der Kirche beschäftigte mich. Sie war wiederholt wegen einer Krebserkrankung ausgefallen und es war immer wieder eine Herausforderung alle Aufgaben im Sekretariat zu erledigen. Zufälligerweise lag ich jetzt im gleichen Spital im Haus nebenan!
Zwei weitere Mitglieder unserer Kirche wurden wegen einer ernsthaften Krebserkrankung behandelt, eine davon war gerade 21 und hatte erst vor einem Jahr geheiratet. Am stärksten bewegte mich aber die Situation meine Schwester, die zum zweiten Mal an Krebs erkrankt war und jetzt im kritischen Zustand zwei Zimmer neben unserer Sekretärin lag! Sie hatte 18 Jahre vorher schon einmal eine schwere und unheilbare Krebserkrankung überlebt und wir hofften darum auch diesmal bis zuletzt auf ein Wunder.
Alle diese Nöte und Fragen zusammen waren eigentlich mehr als man ertragen kann. Das Ganze erinnerte mich an die unbändige Naturgewalt eines Sturms, wie ich sie als Segler ab und zu auf dem See oder Meer erlebt hatte. Nur dass man hier nicht einfach die Segel reffen, den Motor anstellen oder den Sturm vor Top und Takel abwettern konnte. Hier konnte man ’nur’ beten und hoffen.
Zu diesen Stürmen kamen weitere Herausforderungen, in der wir als Kirche hatten. Wegen ihrer Krankheit musste unsere Sekretärin mit ihrem Mann auch die Leitung der Ehe- und Familienarbeit abgeben, die bei uns ein wichtiger Bereich ist. Fast gleichzeitig hatte ich auch die Kündigung unserer Hauptleiterin im Lobpreis erhalten. Sie hatte bei uns eine Teilanstellung und heirateten nun weg nach München. Ich freute mich natürlich für sie, aber die Nachfolge war alles andere als klar.
Die grösste Herausforderung war aber unser Raumproblem. Weil unser bisheriges Gebäude bald einem Grossbauprojekt weichen muss, waren wir schon seit 3 Jahren auf der Suche nach neuen Räumen. Das ist für eine Freikirche mit gut 200 Mitgliedern und einem Bedarf von ca. 1500 m2 in einer Provinzstadt wie Wil/SG nicht gerade einfach, auch wenn wir durch die positive Entwicklung der letzten Jahre sehr ermutigt sein konnten. Endlich, nachdem wir schon mehrere Möglichkeiten geprüft hatten, waren wir auf ein ideales Objekt gestossen, das man sogar kaufen konnte. Es war nichts weniger als ein ganzes Sportzentrum mit Restaurant, Tennis, Billard, Bowling und Fitnesscenter usw. Wir müssten als Kirche lediglich die Räume des Fitnesscenters umbauen und alles andere könnte weiter betrieben werden.
Wie man sich aber für eine 30 Jahren junge und wenig solvente Gemeinde vorstellen kann, war ein Kauf eine grosse Herausforderung. Viele Fragen musste geklärt werden und für den Betrieb mussten/wollten wir eine eigene Gesellschaft gründen. Tatsächlich hatte sich die Mitgliederversammlung vor meinem Spitalaufenthalt mit grossem Mehr für den Kauf und für die Gründung einer AG entschieden, aber wir brauchten noch mehr finanzielle Zusagen. Das Geschäft hätte also jederzeit noch platzen können, auch wenn ein anderer solventer Interessent aufgetaucht wäre. Diese Herausforderung war zwar nicht ein Sturm, aber es war bestimmt eine längere Fahrt in navigatorisch anspruchsvollen Gewässern.
Als ich über alle diese Herausforderungen und Nöte nachdachte und das OP-Team mich langsam für die Narkose bereitmachte, erinnerte ich mich aber auch an den Jahreswechsel 2014/15. Gott hatte mir damals klar gezeigt, dass er mich stärker in die Glaubensschule nehmen wollte. Einerseits hatte mich unsere eigene Gemeindelosung 2015 aus Ps 18,31 sehr angesprochen, wo David im Vers 35 sagt, dass Gott seine Hände kämpfen lehre und seinen Arm den ehernen Bogen zu spannen. Der eherne bzw. eiserne Bogen war damals der am schwierigsten zu ziehende, aber auch gefährlichste Pfeilbogen, dessen Pfeile nicht nur eine grösser Reichweite, sondern auch eine höhere Durchschlagskraft hatten.
Weiter hatte mich beim Jahreswechsel auch die Stelle beschäftigt, wo Jesus seinen Jüngern mitten im Sturm auf dem See Genezareth entgegenlief und wo Petrus ihn schliesslich bat, dass Er ihn doch rufen möge, damit auch er auf dem Wasser gehen konnte (Mk 6,45-52; Mt 14,22-33). Vor allem die Worte in Markus, dass die Jünger angesichts der Wunder noch nicht verständiger waren, weil ihr Herz verhärtet war, hatten mich sehr getroffen. Konnte es sein, dass auch mein Herz noch unverständig und verhärtet war? Wie auch immer, in mir stieg der starke Wunsch, dass es nicht so sein möge und dass ich lernen wollte in den Stürmen des Lebens Gott zu vertrauen und wie Petrus auf dem Wasser zu laufen und über den Umständen zu stehen, auch wenn mir das gleichfalls nicht immer auf Anhieb gelingen würde.
Ich hatte die Botschaften verstanden und immer wieder zu Gott gebetet, dass Er mich lehren möge, den stärkeren Bogen zu spannen und im Vertrauen auf IHN zu wachsen und wo nötig ‚auf dem Wasser’ zu gehen. Die Geschichte mit dem Sturm und dem Kleinglauben der Jünger hatte mich dann nochmals in der Predigtreihe über das Markus-Evangelium eingeholt, die wir ab Februar gepredigt hatten. Es waren diese Gedanken die mich begleiteten bevor ich schliesslich in den Operationssaal geschoben wurde. Ich durfte wissen, dass ich Gott mitten in diesem Sturm und in allen diesen Herausforderungen vertrauen konnte. Er hatte mich darauf vorbereitet und das gab mir jetzt eine Zuversicht, die schwer zu beschreiben ist. Ich durfte wissen, dass alles schliesslich an Ihm vorbei muss und dass Er das letzte Wort hat, auch über dem Tod.
Ich weiss nicht mehr welcher Gedanke vor dem Wirken der Narkose wirklich der letzte war, aber ich weiss noch genau wie überrascht ich war als ich im Aufwachraum nach der Zeit gefragt hatte. War etwas schief gelaufen, hatte man den Eingriff aus irgendeinem Grund abbrechen müssen, warum war ich schon wieder zurück? Aber die anwesende Ärztin konnte mich beruhigen und erklären, dass der Eingriff deshalb so kurz war, weil alles bestens gelaufen sei. Das waren gute Nachrichten.
Ich erholte mich auch in den folgenden Tagen sehr schnell, was sicher auch an der neuen OP-Methode liegt, die man bei mir anwenden konnte. Nach einer Woche war ich schon wieder zuhause. Das Genialste war aber, dass ich von meinem Spitalzimmer aus meine Schwester und unsere Sekretärin mehrere Male besuchen konnte. Besonders die Zeiten mit meiner Schwester waren ein grosses Geschenk. Weil sie schon in der folgenden Woche starb, waren es unsere letzten Gespräche die wir miteinander haben konnten.
Ich war also genau in der richtigen Woche im Spital gewesen. Der Schmerz über ihren Verlust ist gross, aber die Dankbarkeit über was sie in ihrem Leben hinterlassen hatte und dass wir noch über viele Dinge hatten reden können, war grösser. Weil sie Jesus liebte dürfen wir auch wissen, dass sie für immer bei ihm in der Herrlichkeit sein darf und dass wir sie wiedersehen werden. Die Krankheitsgeschichte unserer Sekretärin führte zu einer zweiten grösseren Operation und wir hoffen, dass sie noch viele gute Jahre erleben kann.
Beim Projekt Sportzentrum durften wir das grosse Wunder erleben, dass alle Mittel und Schritte zur rechten Zeit zusammengekommen sind. Der Kauf ging schon drei Monate nach meinem Spitalaufenthalt über die Bühne und heute befinden wir uns mitten im Umbau. Mit einem Festgottesdienst konnten wir im September 30 Jahre lifechurch Wil feiern und die Ecksteinlegung am neuen Ort vollziehen (anstatt Grundsteinlegung haben wir im Blick auf Jesus diesen Akt so genannt). Das ich und meine Frau am gleichen Sonntag zusammen mit vielen Freunden auch noch unser 30 jähriges Dienstjubiläum feiern konnten war ein besondere Gnade obendrauf.
Ich danke dem HERRN für seine souveräne Führung und Treue und möchte weiter lernen IHM in ALLEN Dingen zu vertrauen. Auch wenn wir auf der Erde nie alles verstehen können, dürfen wir wissen, dass ER uns durch alle Stürme und Herausforderungen hindurch leiten kann, besser als wir es je selber tun könnten. Und dabei leitet ER ja nicht nur, ER sitzt selber in unserem Boot.
Ps 23,4 Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn DU bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.
Ruedi Suhner ist Hauptpastor von Lifechurch Wil.