Joseph Dimitrov

Wie kann die Gemeinde ihren von Gott gegebenen Auftrag in einer Atmosphäre ausführen, die einerseits nicht von geistlicher Gleichgültigkeit und anderseits von militanter Opposition geprägt ist? Wie können Christen in einer kritischen Gesellschaft das Evangelium wirksam verkündigen? Und wie unterscheidet sich unsere Wahrnehmung der Evangelisation von der Wahrnehmung glaubensfremder Menschen?

„Also werde ich in der Hölle schmoren, weil ich nicht glaube?“

Das war die sarkastische, konfrontative Reaktion eines Mannes, als meine Tochter im Sprachkurs sagte, dass sie als Christin, an das Leben nach dem Tod glaubte. Ein Gespräch über Spiritualität hatte zu diesem Thema geführt. Obwohl meine Tochter ausdrücklich erwähnte, dass sie niemanden verurteilen wolle, gab es im Kurs eine grosse Diskussion darüber, ob sie überhaupt das Recht habe, ihre Glaubensüberzeugung mitzuteilen.

Was stimmt hier nicht? Ich vermute, dass die Reaktion auf die Aussage meiner Tochter viel positiver ausgefallen wäre, wenn sie sich zum Islam oder Buddhismus bekannt hätte. Warum kommt das Evangelium den Menschen so quer rein? Warum gibt es in einer Gesellschaft, die Diversität und eine freie Meinungsäusserung postuliert, so viel Kritik an Christen – oft noch bevor man gehört hat, was die Christen überhaupt zu sagen haben? Der Glaube ist in vieler Hinsicht auf Kollisionskurs mit unserer postmodernen Kultur.

WIE IST ES SO WEIT GEKOMMEN?

Um die Antwort zu finden, müssen wir einen Blick auf die Aufklärung des 18. Jahrhunderts und die Veränderungen der letzten 300 Jahre werfen. In diesem Zeitraum wurde der menschliche Verstand auf die höchste Autoritätsstufe erhoben und es wurde versucht, das Intellektuelle vom Geistlichen zu trennen. Je mehr die Menschen von den atemberaubenden wissenschaftlichen Entdeckungen fasziniert waren, desto mehr stellten sie das Bedürfnis nach dem christlichen Glauben in Frage.

In der Moderne wurde der Glaube immer mehr an den Rand gedrängt, bis das Evangelium von der säkularen Welt nicht nur Skepsis, sondern Feindseligkeit erntete.(1) Die Ansprüche des christlichen Glaubens auf göttliche Wahrheit, absolute Moral und die alleinige Rettung durch Christus wurden von vielen als intolerant abgelehnt. Man hat sich an der biblischen Lehre gestossen, die keinen Raum für alternative Realitäten oder widersprüchliche Paradigmen liess.

Zusätzlich entstand durch die rasanten Veränderungen der Informationstechnologie, sowie einer zunehmenden Mobilität, ein grosses Interesse an verschiedenen östlichen Religionen und eine Aneignung von säkularem Humanismus. Diese Entwicklung forderte die traditionellen jüdisch-christlichen Werte heraus, auf denen ein Grossteil der westlichen Gesellschaft aufgebaut war. Persönlichkeitsrechte und gegenseitige Akzeptanz wurden zu den Leitprinzipien unserer Gesellschaft.

In der heutigen Kultur wächst sogar der Unmut gegenüber dem Konzept der Toleranz, da es von einem zynischen Gesichtspunkt aus gesehen als Werkzeug zur Verbreitung von inakzeptablen Ideen dienen kann. Gemäss diesem neuen, postmodernen Trend ist die Demontage von absoluten oder relativen Glaubenssystemen, die als ungemütlich empfunden werden, wichtiger, als Toleranz. (2)

Das sollte in uns einige Fragen auslösen. Wie kann die Gemeinde ihren von Gott gegebenen Auftrag in einer Atmosphäre ausführen, die einerseits von geistlicher Gleichgültigkeit und andererseits von einer militanten Opposition geprägt ist? Wie können Christen in einer solch zynischen Gesellschaft das Evangelium wirksam verkündigen? Und wie unterscheidet sich unsere Wahrnehmung der Evangelisation von der Wahrnehmung der glaubensfremden Menschen?

GRUNDLAGEN DER EVANGELISATION

Um diese wichtigen Fragen zu beantworten, müssen wir zunächst echte Evangelisation definieren. Es gibt zwei Hauptkomponenten der biblischen Evangelisation: Die Botschaft und die Haltung. Die eine kann nicht ohne die andere funktionieren. Evangelisation, die ohne die richtige Haltung eine Botschaft vermittelt, ist nichts als ein missionierendes Werkzeug. Evangelisation darf nicht bloss ausgerufen, sondern muss vorgelebt werden. Auf der anderen Seite ist eine Evangelisation, die lediglich aus Barmherzigkeit und Hilfsbereitschaft besteht, ohne das Evangelium zu verkündigen, wie ein Schild, das nirgendwo hin zeigt.

Es ist nicht erstaunlich, dass Johannes 3,16 so stark und bedeutungsvoll ist. Es kommuniziert die Botschaft des Evangeliums und vermittelt gleichzeitig die dahinterliegenden Gefühle: „Denn also hat Gott die Welt geliebt ….“ Gottes Liebe setzte seinen Erlösungsplan in Gang und die Verkündigung dieser guten Nachricht offenbart sein Herz für die Menschheit. Wirksame Evangelisation entsteht aus Liebe und wird in Liebe weitergegeben.

Ohne die Haltung von Gottes Liebe und Erbarmen ist die Botschaft des Evangeliums leer. Es ist die Liebe Gottes, die uns zur Verkündigung antreibt. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Heilige Geist die Botschaft UND die Liebeshaltung des Evangeliums gebraucht.

Das Evangelium ist eine kompromisslose Botschaft. Jesus sagt: „niemand kommt zum Vater denn durch mich,“ und behauptet, dass er „der Weg und die Wahrheit und das Leben“ ist (Johannes 14,6). Viele andere Verse untermauern diese Wahrheit. Die vier Evangelisten präsentierten keine neutrale Botschaft mit einem offenen Ende, die nach Gutdünken ausgelegt werden kann. Sie schrieben mit einer bestimmten Ausrichtung und einem evangelistischen Auftrag: „Was hier berichtet ist, wurde aufgeschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben an ihn in seinem Namen das Leben habt“ (Johannes 20,31 NGÜ).

Es gibt in Bezug auf die Erlösung keine Zweideutigkeit. Diese klare Botschaft hat die Juden und die Griechen in den Tagen des Pauls gestört. Paulus wusste, dass es seinen Zeitgenossen nicht gelingen würde die Botschaft des Kreuzes an ihre Erwartungen anzupassen. Das Wort verändert sich nie. Stattdessen ruft es uns zur Veränderung auf, um so wie Jesus zu werden. Lange vor unserer postmodernen Zeit dachte Paulus darüber nach, wie Toleranz zum Evangelium in Beziehung steht und kam zum Schluss: „Wenn ich noch Menschen gefallen wollte, wäre ich nicht ein Diener Christi!“ (Galater 1,10).

Als Antwort auf die Irrlehrer, die das Evangelium dem Judaismus anpassen wollten, um es akzeptabler wirken zu lassen, besteht Paulus darauf, dass jeder Versuch dieses Evangelium zu verändern überhaupt kein Evangelium ist! (Galater 1,6-7). Die Botschaft des Evangeliums ist eindeutig und die Liebe die Grundlage. Gott liebt jeden Menschen und möchte, dass alle durch Christus errettet werden (1. Timotheus 2,3-5). Die Bibel nimmt Christen in die Pflicht, andere zu lieben, die gute Nachricht aller Kreatur zu verkündigen und mit allen Menschen in Frieden zu leben (Markus 12,31; 16,15; Hebräer 12,14). Jesus liebte alle Menschen und hiess sie alle willkommen, von den Aussätzigen und Zöllnern bis hin zu den Sündern und Bettlern. Obwohl die religiösen Leiter ihn dafür kritisierten, dass er sich mit Menschen abgab, die einen schlechten Ruf hatten, fanden die Ausgestossenen der Gesellschaft in Jesus einen wahren Freund. Er nimmt immer noch jeden freudig auf, der zu ihm kommt.

In Römer 10,13 steht: „jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden.“ Das Evangelium schliesst niemanden aus. Bei Gott geht es nicht um die ethnische Zugehörigkeit, den sozialen Status, die körperliche Erscheinung, den religiösen Hintergrund oder sonst eine oberflächliche Eigenschaft. Er lädt alle ein zu kommen und das Geschenk seiner Erlösung anzunehmen. Und er befiehlt uns, seine Botschaft allen zu verkünden, die es bereitwillig hören wollen. Wir sollten Menschen sogar dann lieben, wenn sie das Evangelium ablehnen. Wenn sie uns wegen der Botschaft verfolgen, sollten wir ihnen vergeben und sie weiter lieben. Andere zu lieben ist Evangelisation in Action und sehr oft ist es das einzige, was wir tun können. Während andere Religionen nur diejenigen freundlich behandeln, die ihre Botschaft annehmen, gibt es im christlichen Glauben keine Einschränkung der Barmherzigkeit. Am Kreuz hörte die Liebe Jesu nicht auf. Als Stephanus gesteinigt wurde, hörte seine Nächstenliebe nicht auf. Die frühen christlichen Märtyrer, die auf dem Scheiterhaufen oder vor den wilden Tieren landeten, hörten nicht auf ihre Ankläger zu lieben und ihnen zu vergeben. Sie erlebten die Ablehnung der Botschaft, aber bewiesen die richtige Haltung des Evangeliums – Liebe.

Die Bibel fordert uns auf, dieses Prinzip auch in der kleinsten sozialen Einheit, der Familie, anzuwenden. Christen mit einem ungläubigen Ehepartner, der die Botschaft noch nicht angenommen hat, sagt Paulus: „Weisst du denn, Frau, ob du deinen Mann retten kannst? Oder weisst du, Mann, ob du deine Frau retten kannst?“ (1. Korinther 7,16). Ebenso, sagte Petrus, dass Frauen ihren Männern gegenüber eine gottgefällige und liebende Haltung erweisen sollen „Denn vielleicht werden gerade sie durch euer Verhalten auch ohne Worte ‚für Christus’ gewonnen“ (1. Petrus 3,1).

EVANGELISATION UND TOLERANZ

Es muss beachtet werden, dass es zwischen Evangelisation und Toleranz eine natürliche Spannung gibt. Obwohl beide Gemeinsamkeiten haben, sind die Ziele unterschiedlich. Das Ziel der Toleranzbewegung ist Frieden und Akzeptanz zwischen den gesellschaftlichen Gruppen. Das Ziel der Evangelisation ist echter Friede im Herzen des Einzelnen, durch die Versöhnung mit Gott.

Unsere westliche Gesellschaft stellt die Auffassung einer absoluten Wahrheit in Frage. Gemäss Humanismus entwickelt sich die Wahrheit aus der Veränderung der Gesellschaft und ihrem Glauben. Unter dem Vorwand politischer Korrektheit, verlangt die Welt von uns heute Massstäbe zu akzeptieren, die gestern noch als falsch galten.

Trotz dieser hektischen Suche nach Toleranz, liefert uns die Politik, immer politisch korrekt, keine echten Lösungen für die heutigen Probleme. Toleranz zielt darauf hin, unsere vielschichtige Gesellschaft zu verbessern, indem sie Menschen dazu anhält, persönliche Überzeugungen und Wahrheitsbegriffe abzulegen und die Verschiedenheiten anzunehmen. Die Frage nach innerer Heilung und Veränderung bleibt jedoch unbeantwortet. Alle Menschen haben dieselbe sündige Natur, erleben dieselben Emotionen und stellen dieselben existenziellen Fragen. Unsere unsterbliche Seele sehnt sich nach der Wahrheit und nach der Erfüllung, die nur Jesus geben kann.

Christus ruft uns auf, sein unveränderliches Wort einer sich verändernden Welt zu bringen. Wir verändern nicht die Botschaft, aber wir können unsere Methoden anpassen. Der Ansatz, der sich in der heutigen Kultur am ehesten anbietet, ist überzeugende Kommunikation. Wir leben in einer Welt mit vielfältigen intellektuellen Ausdrucksweisen. Kunst, Literatur, Philosophie, Unterhaltung, Werbung und Technologie kämpfen um unsere Aufmerksamkeit.

Überzeugende Kommunikation lädt zu einer Diskussion ein, die auf einem respektvollen Austausch der Gedanken beruht. In diesem kulturell vertrauten Kontext kann ein ehrliches Gespräch entstehen. Stellen wir uns zwei gewählte Amtspersonen mit unterschiedlichen politischen Überzeugungen vor, die zusammen Kaffee trinken. Trotz Entgegenkommen werden sie erkennen, dass sie sich nicht einig sind. Sie können Gemeinsamkeiten finden, Ideen austauschen und trotz ihrer unterschiedlichen Überzeugungen eine Beziehung zu einander aufbauen.

Während seiner Missionsreisen, versucht der Apostel Paulus die Menschen in Synagogen, auf den Marktplätzen und im öffentlichen Raum zu überzeugen. Als er in Athen den Philosophen gegenüberstand (Apostelgeschichte 17,16-34), knüpfte er an ihre Ansichten und Schriften an, um ihnen das Evangelium zu erklären. Diese Methode, der höflichen Überzeugung, endete nicht in einer end- und ziellosen Diskussion, sondern bot Gelegenheit, ohne Zwang eine Entscheidung zu treffen. Paulus begegnete seinen Zuhörern mit Respekt und bat sie, ihn zu respektieren und die ehrliche Absicht seiner Botschaft zu prüfen. „So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!“ (2. Korinther 5,20).

Manipulation und Einschüchterung haben keinen Platz in der Verkündigung des Evangeliums. Diese Vorgehensweisen vermitteln eine Haltung der Überheblichkeit und haben zu dunklen Zeiten in der Kirchengeschichte geführt. Wahre Evangelisation dient nicht dazu, eine Position der Dominanz über andere einzunehmen. Das Wort Gottes ist lebendig und aktiv; es muss sich nicht mit den Propagandamethoden anderer Religionen messen. Als Christen müssen wir uns nicht von Agnostikern, Atheisten, freiheitlichen Denkern und Menschen anderen Glaubens zurückziehen, weil sie anders sind als wir. Wir können sie zu einer offenen Kommunikation einladen, welche die einzigartige Botschaft der Hoffnung des Evangeliums und unsere Haltung der Liebe gegenüber allen Menschen aufzeigt. Wir haben das, was die Welt so dringend braucht und wir geben es aus einem Herzen, welches Menschen dienen will und Gott ehrt, weiter. Das ist der Ansatz von dem Paulus in 2. Korinther 5,11 redet: „Weil wir nun wissen, dass der Herr zu fürchten ist, suchen wir Menschen zu gewinnen….“

Die wahre Botschaft des Evangeliums ruft nach einer Entscheidung. Das führt zu der falschen Annahme, dass das Evangelium intolerant ist. Denn schliesslich will Jesus Herzen verändern, während die Welt im Namen des Pluralismus Menschen ermutigt in Sünde zu bleiben und ein selbstzentriertes Leben zu führen. Wenn ein Mensch die einfache Botschaft der Erlösung durch Christus hört, muss er diese entweder ignorieren, akzeptieren oder ablehnen. Darin liegt nichts Intolerantes, da die Rechte und der freie Wille von jedem Mitglied unserer pluralistischen Gesellschaft respektiert werden.

Wenn wir das Evangelium authentisch kommunizieren, klingt es nicht sehr attraktiv. Zeitgenössische Philosophien sind auf persönlichen Gewinn ausgerichtet und verkünden relative Werte und Wahrheiten, die dem Einzelnen die Mühe sparen wollen, sich mit seinem Gewissen oder mit moralischen Prinzipien auseinander zu setzten. Im Gegensatz dazu enthält das Evangelium die Botschaft der Selbstverleugnung, dem gerechten Lebenswandel und der Rechenschaftspflicht gegenüber Gottes Wort und seinem Geist. Die Botschaft des Evangeliums verkündet Erlösung von Sünde und ewiges Leben, aber sie ruft uns gleichzeitig zur persönlichen Verantwortung auf. Wir müssen bereit sein die alte, sündhafte Natur zu verleugnen, uns von Fehlverhalten abzuwenden und unser Leben völlig an Christus auszuliefern – seine Pläne vor unsere zu stellen. Das unterscheidet sich radikal von der Art wie die Welt die Dinge angeht. Haben nicht deshalb viele Jünger Jesus verlassen? Daher hat eine biblische Verkündigung des Evangeliums nichts mit den bekehrenden Methoden gemeinsam, die Menschen durch attraktive Verkaufsgespräche manipulieren. Die beste Methode ist ein offenes Gespräch, indem die Botschaft objektiv und klar vermittelt wird.

Die Bemühungen, das Evangelium um der Toleranz willen zum Schweigen zu bringen, zeigt die Scheinheiligkeit der hochmütigen Befürworter des „Pluralismus“. Wenn sich eine pluralistische Gesellschaft dieser Taktik bedient, wird sie zu einer autoritären Gesellschaft, in welcher die Elite bestimmt, wie die anderen zu Denken, Reden und Handeln haben.

Kürzlich stellte eine Gruppe von christlichen Studenten in unserer Stadt einen Antrag, eine christliche Studentenorganisation gründen zu dürfen. Die Verfassung ihrer renommierten Universität erlaubt und ermutigt die Gründung von verschiedenen sozialen Studentenvereinigungen. Unter anderem gibt es eine jüdische Studentenorganisation und eine arabisch-europäische Gruppe. Warum nicht eine christliche Organisation gründen? Die Universitätsrat mit der Begründung, dass die christliche Ethik, der christliche Glaube und die christliche Lehre mit den Prinzipien des pluralistischen Denkens und sozialer Toleranz unvereinbar seien, den Antrag abgelehnt. Der Rat schlug den Studenten vor, in ihrem Antrag alle Hinweise auf den christlichen Glauben zu entfernen. Die einfache Schlussfolgerung war, dass die angestrebte christliche Studentenorganisation alles andere sein dürfe, nur nicht christlich. So enttäuschend diese offensichtliche Diskriminierung auch sein mag, darf die Angst vor Ablehnung die Gemeinde nicht in den Untergrund führen. Gott möchte uns nicht von der Welt entfremden. Als Jesus für die Gemeinde betete, sagte er: „Ich bitte dich nicht, dass du sie aus der Welt nimmst… Wie du mich gesandt hast in die Welt, so sende ich sie auch in die Welt“ (Johannes 17,15+18).

Die Kultur in der wir leben ist nicht unser Feind. Wir kämpfen vielmehr gegen unsichtbare dämonische Mächte, die Menschen davon abhalten wollen, Christus als ihren Erlöser kennenzulernen (Epheser 6,12). Als Sünder, die durch Gnade errettet, durch die Liebe motiviert und durch den Glauben inspiriert worden sind, können wir uns mit den Verlorenen identifizieren, wenn wir Christi Botschaft der Hoffnung mit Gnade und Respekt weitergeben.

Der Prophet Jona aus dem Alten Testament weigerte sich, sich mit den Menschen von Ninive zu identifizieren, was dazu führte, dass er Gottes Herz nicht verstand. Er predigte wohl die Botschaft, aber verstand die darin enthaltene Gnade und Barmherzigkeit nicht. Der Missionsbefehl in Matthäus 28 ist kein Slogan den wir bei speziellen Gelegenheiten hinaus posaunen. Es sollte für Christen ein Lebensstil sein. Evangelisation sollte überall stattfinden, wo Gottes Volk lebt und arbeitet. Wörtlich heisst es im griechischen Text des Missionsbefehls: „Wenn ihr geht, macht zu Jüngern….“

Wenn wir eine Haltung nach dem Herzen Gottes haben und in seinem Willen leben, wird alles was wir tun Evangelisation sein. Als Vertreter Christi werden wir den Menschen in unserem Umfeld auf ganz natürliche Art und Weise dienen.(3) Unsere barmherzigen Worte und Taten werden unser Leben zu einem überzeugenden Beweis der Wahrheit des Evangeliums machen. Natürlich haben wir die Pflicht, die Liebe und Barmherzigkeit Jesu nicht nur vorzuleben, sondern auch zu erklären. Den Notleidenden zu helfen ist biblisch. Es ist jedoch genauso wichtig Menschen zu erklären, warum wir sie lieben, warum wir die zweite Meile mit ihnen gehen, warum wir die andere Backe hinhalten, wenn es schmerzt und warum wir sogar unseren Feinden Essen und Trinken anbieten. Diese Konzepte sind unserer westlichen Gesellschaft fremd, obwohl sie den humanitären Prinzipien, die von vielen Menschen in unserer Kultur geschätzt und gefeiert werden, entsprechen. Es gibt in der Tat nichts Intolerantes daran, wenn wir uns gegenüber allen Menschen freundlich verhalten – sogar denen gegenüber, die uns gleichgültig oder feindselig gesinnt sind.

Natürlich geht es in der Evangelisation nicht um menschliche Bemühungen. Herzen zu verändern ist ein übernatürliches Werk Gottes. Ohne den Heilige Geist werden unsere Pläne nicht gelingen. Wenn die Predigt des Evangeliums von Gottes Wirken begleitet wird, tauchen kaum Bedenken auf. Wenn Kranke geheilt oder Menschen von dämonischen Bindungen befreit werden, wenn ein Verbrecher Busse tut und sich von seiner Bosheit abwendet, werden Menschen darüber reden, ob sie dem Evangelium glauben oder nicht. Ihre Aufmerksamkeit wird sich von den humanistischen Idealen der Frage zuwenden, ob Gott existiert und in der Welt am Wirken ist – und wenn ja, was sie nun damit tun sollen.

Obwohl es ganz natürlich ist, sich über diejenigen zu freuen, die der Herr seiner Gemeinde hinzufügt, besteht die Hauptaufgabe der Evangelisation nicht darin, die Neubekehrten zu zählen. Die Nachfolger Christi sollten vielmehr das Wort verkündigen und dem Heiligen Geist vertrauen, dass er wirkt. Evangelisation ist eine geistliche Aktivität der Gemeinde. Um diesen Auftrag auszuführen, brauchen Christen die Ausrüstung des Heiligen Geistes. Das ist die Lehre der Apostelgeschichte, sowie der Evangelien. Die ersten Christen vertrauten dem Heiligen Geist, der die Herzen und Leben der Zuhörer berührt, ganz gleich ob es sich um ein griechisches, römisches oder jüdisches Publikum handelte. Der Heilige Geist lässt sich nicht durch kulturelle Grenzen beschränken und öffnet die Herzen der Menschen für das Evangelium.

Egal mit welchen Herausforderungen wir in unserer, sich verändernden Kultur konfrontiert werden, wir dürfen unseren Dienst nicht ohne die Barmherzigkeit Christi ausführen. Die Wahrheit in Liebe auszusprechen, ist nichts weniger als die Grundlage der christlichen Evangelisation. Jede Bemühung die Botschaft zu verändern, damit das Evangelium annehmbar wird, verändert seine Einzigartigkeit. In einer wahrhaft „toleranten“ Gesellschaft kann diese Einzigartigkeit weiterhin bestehen. Lasst uns aber auch bedenken, dass das Evangelium seiner Wirksamkeit beraubt wird, wenn wir mit einer anderen Haltung als derjenigen der Liebe dienen, um uns eine Machtposition oder Überlegenheit zu sichern.

Die Kirchengeschichte ist voll von Beispielen, welche die Wirksamkeit dieser biblischen, gottzentrierten Balance bestätigen. Wahre Evangelisation beginnt und endet mit Liebe und zwischen diesen beiden Punkten begegnen Menschen der lebensverändernden Botschaft von Jesus.

Joseph Dimitrov ist Direktor des Continental Theological Seminary, Sint-Pieters-Leeuw, BelgienFLG hat vom Autor des Artikels und INSPIRATION die Genehmigung zur Veröffentlichung dieses Artikels erhalten. INSPIRATION ist eine verkürzte Version der Zeitschrift ENRICHMENT, die von den Assemblies of God, USA, herausgegeben wird. INSPIRATION dient den Bedürfnissen von deutschsprachigen Pastoren und stellt theologisch-biblisch relevante, up-to-date Artikel für die Arbeit von Gemeindeleitern und Pastoren zur Verfügung.

Fussnoten

  1. Jean Bethke Elshtain, “Do Not Be Afraid! The Call to Evangelism and Christian Intellectuals,” Word & World, 25 no. 2 (Frühling 2005): S. 172–179.
  2. Ibid.
  3. K.H. Ding, “Evangelism as a Chinese Christian Sees It,” Missiology: An International Review, 11, no. 3 (Juli 1983): S. 314–316. Vorlesung gehalten an der Uppsala Universität in Uppsala, Schweden, 2. November 1982.