Paul Clark: Welche Vorteile siehst du für kleine Gemeinden, wenn sie sich als Campus oder Standort anschließen?

Friedhelm Holthuis: Wenn eine neue oder starke Gemeinde wirklich eine Vision hat für diesen Ort, dann sehe ich darin den Vorteil, dass sich das Know-how, die Manpower und die Struktur der großen, starken, stabilen Gemeinde jetzt an diesem neuen Ort manifestiert. In der Regel haben Gemeinden, die sich über Jahre hinweg abwärts entwickeln kein Momentum und wachsende Gemeinden (das ist nicht so sehr eine Frage der Größe) haben ein Momentum, einen Geist des Glaubens, eine Vision, und das ist aus meiner Sicht mit das Entscheidende.

Wenn Du Momentum hast, dann bewegt sich etwas und viele kleine Gemeinden haben ihr Momentum verloren. Sie könnten es aber neu gewinnen, wenn sie sich da andocken, wo dieses Momentum gegeben ist. Das ist wie eine Welle, die Dich mitreißt. Deswegen geht es nicht darum, ein paar neue Mitarbeiter zu finden. Nein, diese neue, expandierende Kirche bringt ein Momentum mit und das ist ein riesiger Gewinn.

PC: Wann ist die Zeit, dass eine Gemeinde ernsthaft überlegen sollte, ihre Selbständigkeit aufzugeben?


FH: Ich glaube, wenn eine Gemeinde über Jahre hinweg eine Abwärtsentwicklung erlebt – das sieht man an den Besucherzahlen, an den Mitarbeiterzahlen, an den Finanzzahlen – aber vor allem, am entscheidendsten: es bekehren sich fast keine Menschen mehr und es landen fast keine Menschen mehr im Taufbecken. Wenn das seit Jahren der Fall ist und es ist irgendwie nicht gelungen, den Abwärtstrend zu stoppen, dann sollte man ernsthaft darüber nachdenken, aus Verantwortung vor Gott und den Menschen gegenüber, auch in der Verantwortung als Leiter, nicht einfach nur zuschauen und Durchhalteparolen auszugeben, sondern die Optionen zu nutzen, die man hat.

Leiterschaft heißt für mich auch, das Beste aus der jeweiligen Situation zu machen. In manchen Fällen heißt das, dass man sich an eine größere Kirche wendet und wenn diese sich darauf einlässt, dass an diesem Ort weiter Gemeinde gebaut wird, allerdings dann unter ihrer Leiterschaft.

PC:   Warum wollen viele kleine Gemeinden, die seit Jahren kämpfen am Überleben sind, ihre Selbständigkeit nicht aufgeben und sich einer stabilen, stärkeren, größeren Kirche anschließen?

FH:  Ich glaube, es gibt mehrere Gründe: viele wissen noch nicht, dass das überhaupt möglich ist. Dann gibt es auch genügend mittlere und größere Kirchen, die das gar nicht auf dem Schirm haben.

Zusätzlich spielen manchmal besonders in Pfingstgemeinden Prophetien eine Rolle, die schon ganz alt sind, nicht mehr viel mit der Realität zu tun haben. Nach dem Motto: „der Herr hat aber gesagt, hier wird mal eine große Erweckung ausbrechen“ – und wir halten daran fest.

Und zuletzt – und das ist für mich der größte Faktor: es fühlt sich an wie eine Niederlage. Man muss Macht, Vollmacht, Leitung, Selbstbestimmtheit abgeben. Das erscheint wie Aufgeben. Es braucht hier einen gedanklichen Richtungswechsel: das ist keine Niederlage, sondern das ist eine Option, die wir jetzt haben. Wir „kapitulieren“, aber nicht im Sinne von „aufgeben“, sondern wir stellen das, was wir haben an Manpower, an Finanzen, an Gebäude einer anderen Gemeinde als Dünger zur Verfügung, dann kann aus dem „Mist“ dieser Gemeinde letztendlich der Dünger für einen neuen Aufbruch werden.

Dagegen spricht die Haltung: „Lieber Häuptling von 10, als Mitarbeiter von 150“. Das ist ein großer Faktor dagegen und hat viel mit Macht- und Kontrollverlust zu tun. Hier braucht es sehr viel Demut und Liebe zum Reich Gottes und nicht Liebe zur eigenen Position.

PC: Aus deinen Erfahrungen von der Credo Kirche: was findest du positiv oder negativ an dieser Entwicklung, neue Standorte ins Leben zu rufen?


FH: Was ich positiv finde, wenn man eine kleine Gemeinde übernimmt (wir haben das jetzt einmal gemacht) ist, dass wir Synergieeffekte hatten. Die Treue und das Durchhaltevermögen der Geschwister dieser kleineren Gemeinde, die schon lange existiert hat, ist für uns auch ein wichtiger Faktor gewesen. Das sind die besten und stabilsten Mitarbeiter, die wir an diesem neuen Campus haben.

Man kann quasi die Dynamik und Power der expandierenden Kirche zusammenlegen mit der Treue und Beständigkeit der Geschwister vor Ort. Das ist eine tolle Mischung! Insgesamt ist für mich das Multi-Site Modell ein Modell unter vielen. Es ist für mich nicht das allein seligmachende Modell. Wir machen als Credo Kirche beides: wir haben im Moment vier Gemeindegründungsprojekte und drei Start-ups für Credo Kirche Standorte.

Für mich hat das viel mit Geografie zu tun: wenn die geografische Nähe gegeben ist, dann macht Campus sehr viel Sinn. Alternativ brauchst Du Söhne des Hauses, die die DNA der Hauptkirche transportieren. Wenn Du die nicht hast, dann macht es mehr Sinn eine neue Gemeinde zu gründen.

Ansonsten musst Du Leute ein oder zwei Jahre vor Ort holen, was herausfordernd sein kann. Es ist auch eine Frage der Persönlichkeit: es gibt Leute, die unbedingt ihr eigenes Ding machen möchten. Das ist auch in Ordnung, aber dann sollten sie lieber eine neue Kirche gründen. Und es gibt andere Leute, die sehen die Synergieeffekte, den fünffältigen Dienst, die Dynamik, das Know-how der größeren, stärkeren Kirche und das ist ein, finde ich, unschätzbarer, unschlagbarer Wert.

PC: Fühle dich frei, generell deinen “Senf“ zum Thema Multi-Site Gemeindebau zu geben!

FH: Ich habe bisher nur eine Erfahrung: wir haben eine ältere Gemeinde geschlossen und haben ihre Mitarbeiter für einen neuen Campus, den wir gegründet haben, übernommen. Ganz speziell war das in Elberfeld. Und was der absolute Gewinn war: wir wissen, es ist ein Schmerz, dass die Leute ihre Gottesdienste und ihre Kirche aufgeben müssen.

Wir wissen, dass sich das nicht gut anfühlt, aber mit dem gemeinsamen Neustart werden wir alles tun, damit Dinge wieder passieren, die über Jahre so sehr herbeigesehnt und erbeten wurden: Menschen werden wieder zum Glauben kommen, Menschen werden getauft werden, wir werden wieder Hochzeiten feiern, wir werden eine Kinderkirche haben.

Unsere Erfahrung ist, dass die Geschwister, die es gewagt haben so ein Re-launch mit uns anzugehen, dass sie nicht alles mögen, was wir als moderne, attraktive Kirche machen (wir sind u. A. im Kino), aber so gut wie jeden Sonntag kommen Menschen zum Glauben.

Wir taufen Leute, übrigens in ihrem alten Taufbecken und neue Leute kommen dazu. Es gibt wieder eine Kinderkirche. Da ist Momentum und Dynamik und das überwiegt. Sie mögen nicht alles vom Stil, aber sie sehen: Kinder werden geboren, Menschen kommen zum Glauben, hier ist eine Dynamik und dafür lohnt es sich, alles zu investieren und auch das eine oder andere Opfer zu bringen.

PC Danke, Friedhelm, dass du für mich und meine Leser Zeit genommen hast!

Friedhelm…ist Vater von drei Kindern und Senior-Pastor der Credo Kirche Wuppertal, einer Gemeinde mit 6 Standorten und über 1000 Zugehörigen. Bereits im Alter von 17 Jahren begann er zu predigen und stellte seine Gabe in den Dienst einer kleinen Gemeinde in Weener (Ost­friesland). Er ist ein begeisternder Prediger und als Sprecher im ganzen Land und international gefragt. Er träumt davon in jeder Stadt und in jedem Dorf eine Kirche zu sehen, in der man Gott begegnen kann.