LeRoy Bartel

Im Hinblick auf Gemeinden und ihre Methoden im Bereich Jüngerschaft kommen mir drei Fallbeispiele in den Sinn. Wir alle kennen solche Gemeinden, haben über ihre Methoden und Praktiken Kommentare abgegeben, und sowohl ihre positiven als auch negativen Merkmale wahrgenommen.

1. DIE NACH AUSSEN GERICHTETE GEMEINDE

Diese Gemeinde wird häufig von einem Pastor geleitet, der eine Leidenschaft für das Gewinnen von Seelen hat — und manchmal gleichzeitig eine ebenso große Leidenschaft für zahlenmäßigen Erfolg. Dieser Pastor möchte die am schnellsten wachsende Gemeinde im Bezirk oder gar in seiner Denomination haben. Häufig schleust die Gemeinde Neubekehrte auf die Weise durch wie eine neue Mutter Wegwerfwindeln. Die Anbetungsmusik ist energiegeladen, die Predigten sind feurig und emotional. Manchmal wird in diesem rasenden Bestreben nach Bekehrungen die Entwicklung der Christen vernachlässigt.

2. DIE NACH INNEN GERICHTETE GEMEINDE

Diese Gemeinde ist genau das Gegenteil. Der Stolz und die Freude dieser Gemeinde sind korrekte Lehre und Bibelwissen. Hier liebt man tiefschürfende Lehre und „feste Speise“ im Gegensatz zu dem, was man hier geringschätzig als „Milch“ bezeichnet. Häufig sind viele Dinge wie Musik, Programme, Richtlinien und Abläufe stark von Tradition geprägt. Man legt Gewicht auf Wahrung und Erhaltung „dessen, was wir haben“. Manchmal hat diese Art von Gemeinde seit Jahren keine Bekehrungen erlebt.

3. DIE GEMEINDE, DIE JÜNGER HERVORBRINGT

Diese Gemeinde ist dynamisch und voll Leben. Jede Woche werden hier Menschen errettet und wachsen durch anschließende Jüngerschaft zu produktiven Mitarbeitern der Gemeinde und Dienern im Reich Gottes heran. Es werden laufend neue Programme entwickelt, die der Gemeinde helfen, Bedürfnisse zu decken und ihren Auftrag zu erfüllen. Ältere Programme werden ständig neu beurteilt und entweder überarbeitet oder eingestellt. Diese Gemeinde vermeidet die Fehler der Gemeinden eins und zwei. Sie lernt von den Stärken der anderen Strategien und misst ihre Aktivitäten an der Richtschnur ihres biblischen Mandats. Sie erfüllt ihren Auftrag, Menschen zu Jüngern zu machen. Ich habe festgestellt, dass Gemeinden, die Jüngerschaft praktizieren, die folgenden fünf Merkmale aufweisen:

Diese Gemeinden haben verstanden, dass ihre Herausforderung darin besteht, Menschen auszurüsten, statt nur darin, Programme, Gebäude und Budgets zu erstellen.

1. Sie erkennen den Auftrag Jesu, Menschen zu Jüngern zu machen, als verbindlich an.

Diese Gemeinden haben verstanden, dass ihre Herausforderung darin besteht, Menschen auszurüsten, statt nur darin, Programme, Gebäude und Budgets zu erstellen. Sie sehen sich grundsätzlich als Jüngerschaft ausübenden Dienst und verstehen richtig, dass der Auftrag Jesu in Matthäus 28, 19–20 (häufig „Missionsbefehl“ genannt) in erster Linie ein Befehl ist, Jüngerschaft auszuüben. Tatsächlich ist das Wort lehrt in Vers 19 die Verbform des Hauptworts, das in unserer Bibel meist mit Jünger übersetzt wird. Das Verb steht in der Befehlsform, was zum Ausdruck bringt, dass es sich um einen klaren Befehl unseres Herrn an Seine Jünger handelt. Dieses in der Befehlsform stehende Verb lehrt stellt den Schwerpunkt des ganzes Satzes dar. Sogar das Wort geht, das in diesem Zusammenhang oft betont wird, ist in diesem

Fall ein einschränkendes Wort, das lediglich zeigt, wie und unter welchen Umständen das Lehren oder zu Jüngern machen stattfinden sollte, nämlich „in eurem Gehen“ oder „während ihr geht“. Der Auftrag des Herrn war „zu Jüngern machen“ und nicht etwa das Zählen von Bekehrten. Diese Gemeinden haben das verstanden. Sie verstehen ebenfalls richtig, dass sie alle Arten von Menschen zu Jüngern machen sollen: Schwarze, Latinos, Asiaten, Reiche, Arme, Wohlhabende und Obdachlose; Gebildete und Ungebildete; von der Kinderkrippe bis zum Altenheim— von der Wiege bis zum Grab.

Wir können es uns nicht leisten, ausschließend oder selektiv zu sein. Wenn die Bibel von „allen Nationen“ spricht, bedeutet es, dass wir Menschen aus allen Völkergruppen zu Jüngern machen sollen. Der Auftrag Christi bedeutet nicht, Menschen nur über Jesus oder die Bibel oder Dogmen zu belehren. Jesus sagte: „…lehrt sie alles zu bewahren, was ich euch geboten habe!“ (Eltern kennen den großen Unterschied zwischen Wissen und Gehorsam.) Diese Gemeinden helfen Menschen, das Leben in Christus und das großartige Abenteuer der täglichen Nachfolge wirklich zu leben und zu erleben. Ihre Evangelisationsbemühungen sind ebenfalls ein enthusiastischer Aufruf, Jesus nachzufolgen.

2. Sie betrachten den Lehrdienst der Gemeinde als Priorität.

Diese Gemeinden haben erkannt, dass Jesus ebenso Lehrer wie Prediger war. Lehren besteht aus weitaus mehr als einer spannenden Präsentation von Wahrheit (obschon dies wichtig ist). Wenn man Lehre auf eine Präsentation von Wahrheit oder ein Referat reduziert, beraubt man sie der biblischen Dynamik. Die biblische Definition von lehren ist vielmehr, Menschen zu helfen, Jesus kennenzulernen und Seine unvergleichliche Liebe und Kraft zu erfahren, sowie sie anzuleiten, die biblischen Wahrheiten zu entdecken und in ihrem Leben praktisch anzuwenden. Es bedeutet, mit ihnen das Abenteuer des christlichen Lebens zu entdecken und sich dafür einzusetzen, dass sie in der Kraft des Heiligen Geistes leben.

Dieses Mentoring-Modell hat in jüngster Zeit erneut mehr Anerkennung gewonnen. Diese Gemeinden messen biblischem Lehrkursen, Unterricht und Schulungen ebenfalls große Bedeutung bei. Sie erkennen die praktische Notwendigkeit von Jüngerschaft auf jeder Ebene menschlicher Entwicklung. Sie sind der Meinung, dass Christen einen fest auf der Bibel gegründeten Glauben brauchen und gemeinsam die Bibel studieren und das Gelernte im täglichen Leben anwenden müssen. Sie schätzen die geistliche Dynamik und liebevolle Atmosphäre, die in Kleingruppen möglich wird. Diese Gemeinden betonen Jüngerschaft als geistlichen Prozess. Als Mitarbeiter Gottes sind sie am geistlichen Wachstumsprozess von Menschen beteiligt.

Ihrer Ansicht nach besteht Jüngerschaft aus mehr als einem weiteren Programm der Gemeinde oder einem mentalen Lernprozess. Ohne das Mitwirken des Heiligen Geistes wird nichts von bleibendem Wert geschehen. Jüngerschaft erfordert authentisches Christsein. Ohne echte Wiedergeburt ist keine geistliche Entwicklung möglich. Die Taufe im Heiligen Geist stattet alle Gläubigen mit dem notwendigen Kraftfundament für ein siegreiches und fruchtbares Leben in Christus aus. Durch kontinuierliche Erfahrungen mit Gott im täglichen Leben wird unser Glaube gestärkt und lebendig. Die auf Erfahrung beruhende Seite des Christenlebens darf jedoch nicht ohne Gegengewicht bleiben. Alle Erfahrungen müssen anhand der klaren Lehre von Gottes Wort geprüft werden. Keine Unterrichtshilfe ist so wichtig für die Entstehung von Glauben wie die Heilige Schrift. Die Bibel ist wahrhaftig der allumfassende Leitfaden für Glauben und Verhalten.

4. Diese Gemeinden sind sehr engagiert.

Es ist kaum möglich, Teil einer solchen Gemeinde zu sein, ohne stark im christlichen Dienst engagiert zu sein. Christsein ist kein Zuschauersport. Man kann nicht einfach kommen und zuschauen. Dienst bedeutet nicht, dass einige Superstars in der Gemeinde eine Vorstellung geben. Dienst ist die Verantwortung jedes einzelnen Christen.

Dienst bedeutet nicht, dass einige Superstars in der Gemeinde eine Vorstellung geben. Dienst ist die Verantwortung jedes einzelnen Christen.

Der Apostel Paulus beschreibt die Verantwortung der Gemeindeleiter in Epheser 4, 11–12, indem er ihnen aufträgt, die Gläubigen „für das Werk des Dienstes auszurüsten“. Diese Gemeinden sehen es als ihre Verantwortung, Menschen unter Gottes Führung zu helfen, ihren Platz im Leib Christi zu finden und auszufüllen. Ausbildung zum Dienst wird nicht nur angeboten, sondern gefordert. Jedes Glied im Leib Christi ist notwendig (1. Korinther 12; Römer 12, 3–8). Die gemeinsame Aufgabe der Gemeinde, des Leibes Christi, besteht darin, Jesus Christus in der Kraft des Heiligen Geistes unverzerrt in unserem Umfeld und unserer Kultur zu repräsentieren.

5. Diese Gemeinden überlassen Jüngerschaft nicht dem Zufall.

Neubekehrte fallen nicht durch das Netz. Gemeinden, die Jüngerschaft praktizieren, lassen es nicht zu, dass Menschen vergessen werden und unbemerkt durch die Hintertür hinausschlüpfen. Man kann hier nicht einfach Gottesdienstbesuche auslassen, ohne dass dies bemerkt wird und jemand anruft. Neubekehrte werden von einer ihnen speziell zugeordneten Person betreut. Jeder wird Teil einer Kleingruppe und hat einen Mentor. Das Ziel ist, zu lernen, worum es im christlichen Leben geht und das Gelernte erfolgreich umzusetzen. In dieser Gemeinde wird jeder Mensch so behandelt, als sei er in der Tat „die ganze Welt“ wert (Markus 8, 36; Lukas 9, 25).

In jüngster Zeit wurde der Schwerpunkt vieler Gemeinden auf „Celebration“ gelegt. Manchmal wird derart viel Gewicht auf den musikalischen Teil der Anbetung gelegt, dass andere wichtige Komponenten zu kurz kommen. Vielerorts sind Bibelseminare und Versammlungen während der Woche so gut wie ausgestorben. Andererseits legen manche Gemeinden extrem viel Gewicht auf Schulung und werden dadurch zu sehr nach innen gerichtet und stagnieren. Beide Irrtümer sind katastrophal. Weder die Anbetung noch der absolut wichtige Auftrag der Verkündigung dürfen vernachlässigt werden. Der Auftrag der Jüngerschaft ist jedoch ebenso wichtig und entscheidend für die anhaltende Dynamik der Gemeinde. Keine Frage: Die Gemeinde kann es sich nicht leisten, ihren Jüngerschaftsauftrag zu vernachlässigen.

LeRoy Bartel, D.Min., Studienleiter des College of Bible and Church Ministries an der Southwestern Assemblies of God University. http://www.sagu.edu/  FLG hat vom Autor des Artikels und von INSPIRATION die Genehmigung zur Veröffentlichung dieses Artikels erhalten. INSPIRATION ist eine verkürzte Version der Zeitschrift ENRICHMENT, die von den Assemblies of God, USA, herausgegeben wird. INSPIRATION dient den Bedürfnissen von deutschsprachigen Pastoren und stellt theologisch-biblisch relevante, up-to-date Artikel für die Arbeit von Gemeindeleitern und Pastoren zur Verfügung. http://enrichmentjournal.ag.org/International/German/index.cfm